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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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am Spieß. Daníel führte einen Kriegstanz vor ihm auf und trommelte sich auf die Brust. Das Feuer hatte jetzt in der einen Ecke auf das Bett übergegriffen und loderte an der Wand hoch. Plötzlich hörte Daníel auf zu tanzen.
    »Es ist vollbracht. Jetzt ist es vollbracht. Jetzt ist alles vorbei. Jetzt befreie ich ihn. Erlaubt mir, ihn zu befreien!«, schrie Daníel zur Decke, raufte sich die Haare und riss an seinen Sachen. »ERLAUBT MIR, IHN ZU BEFREIEN!«
    »Mama!«, kreischte Pálmi und bäumte sich unter den Fesseln auf. Pálmi hatte ein Taschenmesser, das er gegen den Willen seiner Mutter immer in der Hosentasche trug. Er versuchte verzweifelt, an das Messer zu kommen. Unter dem Bett loderte das Feuer, und die Flammen schlugen an den Seiten hoch. Pálmi spürte die Hitze am Rücken und um sich herum. Daníel hatte ihn mit dünnen Schnüren am Kopf-und Fußende des Bettes festgebunden, und seine Hände wurden schon angesengt. Pálmi schrie wie von Sinnen, aber Daníel stand nur da und schaute zu. Jetzt war er verstummt und ließ die Schultern hängen. Er schaute eine Weile zu, wie Pálmi kämpfte und lauschte geistesabwesend seinen Hilferufen. Dann drehte er sich langsam um und verließ das Zimmer.
    Plötzlich gab die Schnur an dem einen Handgelenk nach, und Pálmi gelang es, das Taschenmesser aus der Tasche zu ziehen. Er hatte schwere Brandwunden an der Hand, aber Pálmi verspürte keinen Schmerz, als er das Messer gepackt hielt und mit den Zähnen öffnete. Weil er das häufig geübt hatte, klappte das Messer schnell heraus. Wimmernd durchtrennte er die Fesseln an der anderen Hand und an den Füßen. Er warf sich aus dem Bett, im gleichen Augenblick brach das Feuer von unten durch und das Bett brannte lichterloh.
    Pálmi rannte schreiend aus dem Zimmer. Seine Haare, seine Hände, seine Sachen waren angesengt. Das Fensterbrett und die Gardinen hatten inzwischen ebenfalls Feuer gefangen. Er lief aus der Wohnung ins Treppenhaus und hämmerte an die nächste Tür, aber niemand war zu Hause. Er rannte eine Etage tiefer, aber auch dort war niemand zu Hause, dann sauste er wieder nach oben und versuchte es ein Stockwerk höher. Niemand machte auf. Im obersten Stock wohnte ein alter Mann, der zur Tür kam, nachdem Pálmi eine Weile gehämmert hatte.
    »Danni hat mein Zimmer angesteckt!«, schrie Pálmi.
    »Was ist denn das für ein Heidenlärm? Hast du da vorhin so gebrüllt?«
    »Es brennt alles!«
    »Was sagst du da?«, fragte der Alte, der kaum vom Fleck kam. Er brauchte keine weitere Bestätigung als einen Blick auf Pálmi, um ihm zu glauben. Er rief die Feuerwehr an und ging dann mit dem Jungen hinunter. Starker Rauch quoll aus der Wohnung.
    »Die Türen hier müssten feuersicher sein«, sagte er und betrat ohne zu zögern die Wohnung.
    »Pass auf, Danni ist da drinnen, glaube ich«, sagte Pálmi, aber der Mann kümmerte sich nicht um ihn. Das Zimmer stand lichterloh in Flammen, aber das Feuer hatte noch nicht weiter um sich gegriffen. Der Mann schlug die Zimmertür zu.
    Auf einmal sah Pálmi, dass Daníel auf dem Sofa im Wohnzimmer saß. Er hielt ein Buch in der Hand und schien in seine Lektüre vertieft zu sein. Er schaute hoch und fragte: »Pálmi, mein Lieber, wo bist du denn gewesen?«
    Pálmi stieg aus dem Bus und ging rasch heim. Als er vor dem Haus stand, blickte er zu dem Fenster seines alten Zimmers hoch und sah im Geiste drinnen die Flammen lodern. Das Fenster war wegen der Hitze zersprungen, bevor die Feuerwehr eintraf, und die Scherben waren in alle Richtungen geflogen. Später wurde eine neue Scheibe eingesetzt, aber sonst nichts instand gesetzt. Ihre Mutter hatte kein Geld dafür, und später wollte sie es nicht mehr. Sie versteifte sich darauf, dass nichts daran verändert werden durfte, um ständig an Daníels Gemütskrankheit zu mahnen. Sobald er wieder gesund wäre, könnte auch das Zimmer in Ordnung gebracht werden. Nach dem Tod der Mutter hatte Pálmi eigentlich etwas unternehmen wollen, aber letzten Endes konnte er sich nie dazu bewegen. Betreten hatte er das Zimmer nie wieder.
    Als er in seine Wohnung kam, fiel ihm wieder Daníels Besucher ein.
    Halldór. Pálmi erinnerte sich vage an ihn. Er hatte als Kind dieselbe Volksschule besucht wie Danni. Er nahm sich vor, Verbindung mit Halldór aufzunehmen und ihn zu fragen, was er von Daníel wollte. Als er die Abendnachrichten im Radio einschaltete, hörte er als Erstes, dass der ehemalige Lehrer Halldór Svavarsson in seinem Heim am

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