Menschensoehne
Urðarstígur 89 in Reykjavík verbrannt sei. Man gehe davon aus, dass es sich um Brandstiftung handele, sagte der Sprecher, und die Kriminalpolizei sei mit dem Fall befasst.
Pálmi saß am Küchentisch und massierte sich vorsichtig die Hand.
Zehn
Erlendur brachte Sigurður Óli nach Hause. Es war schon ziemlich spät, als sie endlich aus Hafnarfjörður zurückkamen. Helena hatte sich nicht dazu bewegen lassen, ihnen mehr über Halldór zu erzählen und zu sagen, was sie damit meinte, dass er missbraucht worden wäre. Sie hatte freundlich darum gebeten, jetzt allein gelassen zu werden. Sie gingen darauf ein, obwohl Sigurður Óli sie am liebsten noch etwas unter Druck gesetzt und mehr aus ihr herausgeholt hätte.
Im Autoradio hörten sie die Abendnachrichten. Erlendur hatte veranlasst, dass eine Pressemitteilung herausgegeben wurde. Sie wussten von keinem anderen nahen Anverwandten außer Helena, und ihr war Halldórs Tod nun offiziell mitgeteilt worden. Die Medien stürzten sich gierig auf die Sensationsmeldung, es wurde gesagt, wer in dem Haus gelebt hatte und dass man in der Brandruine Halldórs Überreste gefunden hatte. Über die Ursache des Brands war aber nichts verlautbart, und es gab auch keine näheren Informationen zum aktuellen Stand der Ermittlung. Erlendur war nicht gut auf die Medien zu sprechen. Er hielt die Informationen, die er an sie herausgab, immer so knapp wie nur möglich. Er genoss es, wenn die Journalisten im Dunklen tappten. Ihm war nicht selten deswegen Animosität und mangelnde Kooperationsbereitschaft vorgeworfen worden.
Nachdem er Sigurður Óli zu seinem Junggesellenappartement gebracht hatte, fuhr Erlendur noch einmal ins Büro. Aus irgendwelchen Gründen war die Kriminalpolizei in einem Gewerbegebiet in Kópavogur untergebracht, gegenüber befand sich eine Reifenwerkstatt und nebenan ein Solarium. Der Kriminalpolizei standen zwei Etagen in einem grundhässlichen Bürogebäude zur Verfügung, das zudem noch so gravierende Alkalischäden aufwies, dass es wegen der vielen Risse und Sprünge aussah wie nach einem schweren Erdbeben. An einer Ecke des Hauses war ein großes Stück herausgebrochen, und es schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen.
Auf Erlendurs Schreibtisch lag der Autopsiebericht. Er war kurz und knapp und bestätigte das, was bereits bekannt war. Halldór musste unsägliche Qualen erlitten haben, denn der Tod war nicht schnell eingetreten.
Erlendur überlegte, ob er nicht auch nach Hause fahren sollte, aber dort erwartete ihn nichts außer dem gewohnten Bett. Er zog sich Mantel und Schal an und setzte seinen Hut auf. Er trug immer einen Hut, gleichgültig ob das in Mode war oder nicht. Moden interessierten ihn grundsätzlich nicht.
Er ging gedankenverloren zum Auto, dachte an Halldór Svavarsson, an Helena − und an Sigurður Óli, der manchmal unglaublich unsensibel sein konnte. Er war im Grunde genommen gar kein so übler Kerl. Erlendur war ihm aber einen Gefallen schuldig und wusste, dass er sich eines Tages dafür revanchieren musste. Er hatte in Sigurður Ólis Anwesenheit einmal einen Mann zusammengeschlagen. Sigurður Óli, der damals erst seit einigen Wochen bei der Kriminalpolizei gearbeitet hatte, hatte ihm nie verziehen, da hineingezogen worden zu sein.
Erlendur war seit langem geschieden. Er hatte zwei erwachsene Kinder, von denen er meistens nur dann etwas hörte, wenn sie in Schwierigkeiten waren. Seine Tochter lebte mit einem Mann zusammen, der ein Dealer zu sein schien. Sie selbst war drogenabhängig, und Erlendur hatte den Verdacht, dass sie auf den Strich ging. Er war der Meinung, dass er immer alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um sie aus dem Sumpf herauszuziehen, in den sie geraten war, aber sie endete doch immer wieder dort. Erlendur begriff nicht, warum sie sich so verhielt, er hatte es aufgegeben, sie zu einer Therapie zu überreden oder selbst mit ihr zu arbeiten. Er hatte sich einmal ein ganzes Jahr unbezahlten Urlaub genommen, um bei ihr sein zu können und ihr zu helfen. Trotz heftiger Auseinandersetzungen und dank großer Kraftanstrengung ging es eine ganze Weile gut, aber dann nahm die Sucht wieder überhand und sie verschwand aus Erlendurs Gesichtskreis. Er versuchte ihr so weit wie möglich beizustehen, wenn sie bei ihm auftauchte, aber ansonsten hatte er aufgehört, sich einzumischen. Er wartete stattdessen auf ein Wunder. Vielleicht musste sie selbst den Weg aus dieser Misere herausfinden.
Sein Sohn war Alkoholiker,
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