Menschensoehne
Verpackungen von irgendwelchen Fertiggerichten und säuerlich stinkenden verdorbenen Milchprodukten. Sigurður Óli glaubte zu sehen, dass der Mann einen Verband im Schritt trug. Laute Musik drang aus zwei großen Boxen. Sie gingen zumindest davon aus, dass es Musik sein sollte, es hätte aber genauso ein Mitschnitt von einem Verkehrsunfall sein können. Erlendur brachte das Gerät zum Schweigen, indem er den CD-Player aufhob und zur Tür hinausschleuderte. Der Mann rührte sich nicht. Jetzt war es still in der Wohnung, und sie hörten nur noch vereinzelt das eine oder andere Auto, das die Hverfisgata entlangfuhr. Erlendur versetzte dem Mann auf dem Futon einen Tritt in den Bauch, der daraufhin ein Lebenszeichen von sich gab. Sigurður Óli bezog Position an der Tür.
»Bist du Magni?«, fragte Erlendur den Mann. Er war so mager, dass sich jeder einzelne Knochen abzeichnete. Er hatte schwarze, schulterlange Haare; schwarze, mickrige Bartstoppeln rahmten das Gesicht ein. Seine großen, vorspringenden Zähne erinnerten Erlendur an eine Ratte, als er auf ihn hinuntersah.
»Und wer bist du, du Scheißkerl?«, fragte er stöhnend, als er wieder zu Atem gekommen war, und starrte zu Erlendur hoch.
»Ich wollte mir mal die Mühe machen, den großen Frauenhelden ansehen zu kommen. Casanova in eigener Person. Und das kann ich dir sagen, das hat sich in der Tat gelohnt.«
»Casa was?«, fragte das Gerippe.
»Dir macht’s wohl Spaß, Mädchen zu prügeln?«
»Hä?«
»Ich meine, geilst du dich da dran auf, du weißt schon, sexuell und so? Du findest das wohl geil?«
Erlendur hielt die linke Hand hinter dem Rücken angewinkelt, hatte den rechten Fuß etwas vorgesetzt und wartete ruhig ab. Sigurður Óli stand an der Tür und bereute es, seinem Kollegen gefolgt zu sein.
»Leck dich doch am Arsch, Opa«, sagte Magni und war aufgestanden.
»Auch noch rhetorisch beschlagen«, sagte Erlendur. »Ein Casanova, der sich gewählt ausdrückt und sich daran aufgeilt, Mädchen zu verprügeln.«
»Weißt du, was sie über dich sagt, du dämlicher Bulle?«, sagte Magni, der jetzt kapiert hatte, wer seine Gäste waren. Er ging auf Erlendur zu. Er stank aus allen Löchern.
»Sie spricht immer nur von diesem ›miesen Typen‹. Du bist ein mieser Typ. Das hat sie von ihrer Alten. Und du kannst Eva ausrichten, dass ich sie das nächste Mal, wenn sie mir über den Weg läuft, massakriere, zack«, erklärte Magni und schnipste vor Erlendurs Nase mit den Fingern.
»Du massakrierst mir niemanden, Casanova«, entgegnete Erlendur gelassen. »So ein reizender junger Mann wie du, und so eine reizende Wohnung. Ich glaube, einen besseren Schwiegersohn als unseren Casanova hier kann man sich kaum wünschen«, sagte er und drehte sich zu Sigurður Óli in der Tür.
»Tut’s dir vielleicht ein bisschen weh da unten, Herzchen?«, fragte Erlendur und blickte an dem Gerippe herunter. Magni hatte einen weißen Verband im Schritt.
Magni verlor die Beherrschung und holte zum Schlag aus. Erlendur sah das aus den Augenwinkeln. Er war um die fünfzig und ziemlich massiv, aber nicht dick. Er war durchtrainiert, und seine Fäuste waren enorm. Er hatte eine Zeit lang erfolgreich geboxt, obwohl die Sportart in Island verboten war, aber da er sich gut in Form gehalten hatte, war er immer noch reaktionssschnell. Der Hieb kam blitzschnell und unerwartet. Erlendur war Linkshänder. Er setzte Magni mit der Linken einen Volltreffer ans Kinn und im nächsten Zug mit der rechten Hand einen an die Schläfe. Magni hatte keine Chance, auszuweichen, er ging zu Boden, und man hörte ein Knacken, als der Kiefer brach. Erlendur machte Anstalten, auf den Bewusstlosen einzutreten.
»Bist du übergeschnappt, Mann«, ächzte Sigurðu Óli und hielt ihn zurück.
»Er wollte angreifen«, sagte Erlendur und trat einen Schritt zurück. Er wirkte genauso gelassen wie zuvor.
Sie beugten sich über Magni und betrachteten ihn, wie er da bewusstlos auf dem Futon lag. Es verging eine ganze Weile, bis Erlendur sein Handy nahm und einen Krankenwagen herbeiorderte. Sie standen schweigend da und schauten auf die jämmerliche Gestalt auf dem Boden. Sigurður Óli bückte sich und stellte zu seiner großen Erleichterung fest, dass der Mann zumindest noch am Leben war.
»Was zum Teufel hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
»Na, der wollte doch auf mich losgehen. Sollte ich ihn vielleicht einfach über mich herfallen lassen?«
»Du hast ihn absichtlich provoziert. Du wolltest, dass
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