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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Schule gegangen, ich allerdings viel später. Halldór hat mich nie unterrichtet, aber ich kann mich an ihn als Lehrer dieser Schule erinnern.«
    »Es hat ihm so viel Spaß gemacht, zu unterrichten. Er liebte die Arbeit mit den Kindern, und ich glaube, dass er ein guter Lehrer war. Natürlich sind solche Vergehen unverzeihlich, aber Halldór war nicht von Grund auf schlecht. Das Leben hatte ihn nur schlecht behandelt.«
    »Was meinst du damit, dass etwas vorgefallen ist?«
    »Er belästigte die Kinder sexuell.«
    »Waren es Mädchen, bei denen er zudringlich geworden ist?«, fragte Pálmi vorsichtig.
    »Mädchen?«, sagte Helena ein wenig erstaunt. »Nein, es ging um die Jungen.«
    Sie entschloss sich, Pálmi ausführlicher von Halldór zu erzählen.
    »Er war Jahrgang 1929. Seine Mutter hieß Friðgerður und gab Svavar Héðinsson als Vater an. Mein Vater war ein bekannter Mann, er war sowohl passionierter Reiter als auch als Bergsteiger. Svavar wurde zwar als Kindsvater ins Kirchenbuch eingetragen, aber er hat die Vaterschaft weder abgestritten noch zugegeben und sich nie um dieses Kind gekümmert. Ich hatte immer meine Zweifel, ob die Vaterschaftsangabe stimmte, aber Halldór war fest davon überzeugt, und deswegen zog er mich als seine Halbschwester ins Vertrauen. Friðgerður stammte aus den Westfjorden, war aber schon in jungen Jahren von dort weggezogen und arbeitete anschließend als Magd in der Landwirtschaft in Südisland. Sie hielt es nirgendwo lange aus. Viele haben sie für beschränkt gehalten. Sie war wirklich eigen, und es war nicht leicht, mit ihr auszukommen. Sie hatte keinen besonders guten Ruf, weil sie sich ungehobelt benahm und ziemlich gehässig sein konnte. Sie galt als verdorben. Meist endeten die Dienstverhältnisse mit Schimpf und Schande. Zweimal verklagte sie ihre Dienstherren wegen Vergewaltigung, aber die Fälle kamen nie vor Gericht. Irgendwas stimmt da nicht mit dieser Friðgerður, sagten die Leute. Es hat ganz den Anschein, als würde sie es darauf anlegen, in Schwierigkeiten zu geraten.«
    »Und Halldór?»
    »Halldór war ihr einziges Kind. Er ist bei ihr aufgewachsen und mit ihr von Hof zu Hof gezogen, aber Mutterliebe ist ihm nie zuteil geworden. Ganz im Gegenteil. Er hat seinen Vater nie kennen gelernt, wenn denn mein Papa überhaupt sein Vater gewesen ist. Als Halldór sieben war, verdingte sich Friðgerður bei zwei Bauern in den Ostfjorden, die gemeinsam den Hof bewirtschafteten. Sie waren unverheiratet und kinderlos, lebten ziemlich isoliert, und man sprach nicht gut über sie. Bei denen war Friðgerður drei Jahre lang, und die ganze Zeit wurde der kleine Halldór von ihnen missbraucht. Das begann praktisch, gleich nachdem die Mutter mit ihm dorthin gezogen war. Halldór musste leichte Arbeiten verrichten, er holte die Kühe von der Weide und fütterte die Kälber. Eines Abends im Kuhstall haben die Brüder ihn in eine Ecke gedrängt und ließen ihn … Allmächtiger, das bringe ich nicht über die Lippen«, rief Helena aus. »Es ist so grauenvoll! Denk bloß, drei ganze Jahre lang!«
    »Und was war mit Friðgerður?«, fragte Pálmi, nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen hatten. »Hat sie nichts unternommen, um das zu unterbinden? Und von diesem Hof wegzukommen – oder was auch immer?«
    Helena liefen die Tränen über die Wangen. »Mit ihr hat wirklich etwas nicht gestimmt«, sagte sie schließlich nach einigem Schweigen. »Nach dem, was Halldór mir erzählt hat, hat sie nie einen Versuch gemacht, das zu verhindern, diese verfluchte Schlampe.«
    Wieder saßen sie eine lange Zeit schweigend da. Man hörte nichts als das Ticken der alten Wanduhr. Schließlich stand Pálmi auf und fragte, ob er Kaffee für sie machen sollte. Helena, die auf dem Sofa saß, nickte. »Sei so lieb.« In der kleinen Kücheneinheit fand Pálmi das, was er brauchte, tat Filter und Kaffee in die Kaffeemaschine auf dem Küchentisch, holte zwei Tassen aus dem Schrank und fand Zucker sowie Milch, die er in ein kleines Milchkännchen goss. Er stellte alles auf ein Tablett und wartete, bis der Kaffee durchgelaufen war. Als er zurück ins Wohnzimmer kam, hatten beide sich wieder gefangen. Er füllte die Tassen. Helena fragte, ob er nicht etwas Schmalzgebäck dazu wollte, im Schrank neben dem Herd habe sie immer einen kleinen Vorrat davon.
    »Vielen Dank«, sagte er und holte die Tüte. Anschließend tranken sie Kaffee, aßen von dem Gebäck und lauschten der tickenden Wanduhr.
    »Was ist aus

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