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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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dreizehn Jahre alt.«
    »Und was genau ist passiert?«
    »Diese Kinder sind keineswegs böse, das dürft ihr nicht glauben. Auf gar keinen Fall. Aber hier auf dem Schulhof kam es zu einer Art Massenhysterie. Halldór war Vertretungslehrer. An jenem Morgen hatte die Klasse Kunstunterricht gehabt, und zwar bei einer Kollegin, die auch nur Vertretung machte, und sie kam anschließend weinend zu mir ins Büro. Als ich in den Unterrichtsraum kam, war alles in Aufruhr. Mir gelang es, die Kinder etwas zu beruhigen, aber unterschwellig gärte es noch, und in der nächsten Stunde bei Halldór ging es wieder los. Kinder können unendlich grausam sein. Er hatte festgestellt, dass sie immer wieder zu ihm kamen, wenn er Pausenaufsicht hatte, und er fand das schön, das hat er betont, als er mir den Vorfall erzählte. Normalerweise haben sie sich nicht länger mit ihm unterhalten. Aber in diesem Fall verwickelte ihn einer in ein Gespräch und zwei spuckten ihm auf den Rücken. Alle waren daran beteiligt, ihn abzulenken. Als er merkte, was los war, war es zu spät. Kinder aus allen Klassen, die auf dem Schulhof waren, machten mit, und er sah ekelhaft aus, als er zu mir ins Büro kam.«
    »Was hat Halldór dazu gesagt?«
    »Er hat erstaunlich gefasst darauf reagiert, aber wahrscheinlich setzte der eigentliche Schock erst später ein. Merkwürdigerweise hat er aber gesagt, dass er das letzten Endes verdient gehabt hätte. Genau das hat er gesagt, er hätte es eigentlich verdient gehabt. Mehr nicht.«
    »Seine Schwester hat erwähnt, das da vor vielen Jahren irgendetwas passiert ist, was mit der Schule zu tun hatte«, sagte Erlendur. »Hast du eine Ahnung, was das war?«
    »Nein, keine Ahnung. Danach müsstet ihr den ehemaligen Schulleiter fragen. Der kann sich vielleicht noch daran erinnern. Lehrer tendieren dazu, so wenig von sich zu erzählen wie irgend möglich − was man gut verstehen kann. Die Kinder, und gar nicht zu reden von den Eltern, sind heutzutage so unverschämt, dass man meinen könnte, Lehrer seien ihr Privatbesitz.«
    »Sie gab ebenfalls zu verstehen, dass er in seiner Jugend sexuell missbraucht worden ist«, entfuhr es Erlendur ganz gegen seinen Willen. Er hielt nichts davon, das Privatleben von Menschen breitzutreten, besonders, wenn er kein Vertrauen zu seinen Gesprächpartnern hatte. Aber diese Fragen mussten nun mal gestellt werden.
    »Wir wissen, dass diejenigen, die abartigem Verhalten zum Opfer gefallen sind, es später womöglich nachahmen.«, fuhr er fort und versuchte, sich so vorsichtig wie möglich auszudrücken, gab es aber auf.
    »Ist dir irgendetwas darüber bekannt, dass Halldór sich an seinen Schülern sexuell vergangen hat?«
    »Um Himmels willen«, rief der Schulleiter entsetzt. »Worauf willst du eigentlich hinaus?«
    Zu Daníels Begräbnis waren nur wenige erschienen. Es fand in der kleinen Kapelle beim Friedhof in Fossvogur statt. Pálmi war anwesend, Dagný und außerdem Jóhann und zwei weitere Aufseher aus der Klinik. Als Letztes erschien ein Mann, der Pálmi bekannt vorkam, aber er kam nicht darauf, wer es war. Er erschien erst, als die Trauerfeier bereits begonnen hatte, schlich sich auf einen Platz ganz hinten in der Kapelle und versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Den Geistlichen kannte Pálmi von der Universität her. Er legte seinen Worten eine Stelle aus dem Hebräerbrief zugrunde: Die Gastfreundschaft vergesst nicht. Durch sie haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. Gedenket der Gefangenen wie Mitgefangenen, gedenket der Misshandelten als solche, die selbst noch im Erdenleib weilen .
    Der Pastor hatte vorgeschlagen, Sarglegung und Begräbnis zusammenzulegen. Vor ihnen stand der offene, von innen mit weißer Seide ausgekleidete Sarg. Daníels Kopf war leicht zur Seite geneigt. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, weil ein kleines weißes Tuch darüber gebreitet war. Als der Geistliche geendet hatte, standen die Anwesenden einer nach dem anderen auf, gingen zum Sarg und schlugen das Zeichen des Kreuzes über den Toten. Als die Reihe an den Unbekannten kam, bückte er sich, lüftete langsam das Tuch von Daníels Gesicht, schaute ihn lange und intensiv an, bevor er ihn küsste und dann endlich das Zeichen des Kreuzes über ihm schlug. Pálmi blickte zu Dagný hinüber. Sie fanden diese Geste schön. Pálmi überlegte, warum er das nicht auch getan hatte, und schämte sich.
    Daníel wurde an der Seite seiner Mutter im neuen Teil des Friedhofs zur letzten Ruhe gebettet.

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