Menschensoehne
runter«, wies Erlendur die zwei Polizisten an, die an der Tür standen. Sie traten hinzu, und während der eine Sigmar anhob, stand der andere auf dem Bett und löste den Gürtel. Sigmar wurde auf die Matratze gelegt. Er trug seine abgewetzten Jeans und ein graues, ärmelloses T-Shirt. Erlendur beugte sich zu ihm hinunter und hob das T-Shirt hoch. Blutspuren auf dem Bauch schienen darauf hinzudeuten, dass dort etwas geschrieben worden war.
»Was steht da?«, fragte Erlendur und starrte konzentriert auf die Leiche.
»Warte mal«, sagte Sigurður Óli. »Das kann man kaum noch entziffern, aber das hier ist ein E, glaube ich, dann wieder etwas Verwischtes, und dann ein A, mehr kann ich auch nicht erkennen.«
»E und A«, sagte Erlendur und kratzte sich am Kopf. »Was soll denn das heißen?«
»Jetzt sind also alle tot«, sagte Sigurður Óli und richtete sich auf. »Alle acht, und das Einzige, was wir in der Hand haben, sind zwei Buchstaben.«
Siebenundzwanzig
»Ich wollte dir mitteilen, dass Sigmar heute Nacht Selbstmord begangen hat«, sagte Erlendur. Es war früh am Morgen, und Pálmi war durch das Klingeln des Telefons geweckt worden. »Aus purer Dummheit und Unfähigkeit ist ihm in der Untersuchungshaft sein Gürtel nicht abgenommen worden. Ich glaube nicht, dass wir deine Hilfe noch länger benötigen. Ich wollte mich bloß für die Zusammenarbeit bedanken. Falls du noch irgendwas in der Sache herausfinden solltest, setz dich bitte mit uns in Verbindung.«
»Der arme Kerl«, sagt Pálmi geschockt. »Falls es stimmt, was er gesagt hat, sind jetzt also alle Jungs aus der Klasse tot.« »Es scheint tatsächlich den Tatsachen zu entsprechen. Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass er Halldór auf diese schauerliche Art und Weise ermordet und sich selbst umgebracht hat, bevor wir die Gelegenheit hatten, ihn in die Zange zu nehmen. Das Motiv ist immer noch unbekannt, aber es ist denkbar, dass er sich für irgendetwas gerächt hat, das vor vielen Jahren geschah, als Halldór noch sein Lehrer war. Es liegt aber auf der Hand, dass wir gestern nur einen Bruchteil der ganzen Geschichte zu hören bekommen haben.«
»Hast du inzwischen noch einmal mit Helena gesprochen?«, fragte Pálmi.
»Nein. Ich habe ihre Aussage gelesen, aber sie ist nicht sehr aufschlussreich.«
»Hat sie die Kassetten erwähnt?«
»Was für Kassetten?«
»Ich habe sie gestern Abend im Krankenhaus besucht, und wenn ich sie richtig verstanden habe, ging derjenige, der sie zusammengeschlagen hat, davon aus, dass sie irgendwelche Kassetten bei sich aufbewahrte.«
»Kassetten?«
»Bänder, auf denen etwas aufgezeichnet war. Der Mann schien davon auszugehen, dass Helena irgendwelche Kassetten besaß, hinter denen er her war. Dieser Überfall muss mit dem Mord an Halldór zusammenhängen, und es kann sehr gut sein, dass der Angreifer Halldór ermordet hat und dass er hinter irgendwelchen Aufzeichnungen her ist.«
»Was könnte denn auf diesen Kassetten aufgezeichnet sein?«, fragte Erlendur.
»Ich habe keine Ahnung.«
Sie redeten noch eine Weile über die Kassetten, bevor sie auflegten. Pálmi ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Immer noch befassten sich die Schlagzeilen mit dem Mord an Halldór Svavarsson. Ein der Tat verdächtiger Mann sei festgenommen worden, aber die Zeitungen verfügten augenscheinlich über keine weiteren Informationen. Allerdings standen jetzt nicht mehr die Schüler als vermeintliche Täter im Mittelpunkt, sondern allenthalben wurden Interviews mit Experten abgedruckt, die sich in Bezug auf Päderasten auskannten. Halldórs Hintergrund war genau ausgeleuchtet worden, aber die Journalisten hatten keine weiteren Vorfälle ausfindig machen können, bis auf das, was damals in Hvolsvöllur passiert war.
Der ehemalige Schulleiter wohnte noch immer in einem gepflegten Reihenhaus ganz in der Nähe der Víðigerði-Schule. Er genoss sein Leben als Pensionär, reiste viel und spielte Golf. Seine Frau hatte in dieser Ehe das Sagen, sie bestimmte, dass sie jeden Tag ins Schwimmbad und regelmäßig aus essen gingen. Ebenso regelmäßig wurden die Kinder eingeladen oder besucht. Sie waren beide Mitte siebzig. Sie hatten ein angenehmes Leben gehabt, waren so fit, wie sie nur sein konnten − und außerdem äußerst versnobt.
Der Schulleiter hatte die Kriminalbeamten erwartet und führte sie ins Wohnzimmer, wo seine Frau sich demonstrativ neben ihn setzte. Sie wollte auf keinen Fall etwas verpassen. Erlendur konnte sich des
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