Menschensoehne
Das klingt bloß einfach so absurd.«
»Der arme Sigmar. Wie geht es ihm? Ich sehe ihn manchmal in der Stadt, zusammen mit anderen Pennern. Er ist wohl in der Gosse gelandet.«
»Ihm geht es schon seit langer Zeit dreckig, glaube ich. Er ist zu Daníels Beerdigung gekommen und sah erbärmlich aus. Früher hat er Daníel manchmal in der Klinik besucht, aber dann hat er damit aufgehört, weil er nicht zusehen konnte, wie Danni zusehends verfiel und kaputtgemacht wurde.«
»Ich habe in der Zeitung von Dannis Tod erfahren, mein Beileid. Hin und wieder konnte man etwas über meine ehemaligen Klassenkameraden in der Zeitung lesen. Kiddi Kolke verschwand im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche. Skari ist in der Gosse verendet. Ich weiß nichts über diese Lebertranpillen, ich weiß bloß, dass die Jungs in diesem Winter plötzlich unglaubliche Leistungen erzielten. Auf einmal fiel es ihnen leicht, zu lernen, es hatte fast den Anschein, als würden sie durch irgendetwas stimuliert. Aber sie führten sich gleichzeitig immer schlimmer auf. Sie wurden aufsässiger. Willst du damit sagen, dass uns Mädchen weiterhin normaler Lebertran gegeben wurde? Dass nur die Jungen dieses Zeug bekommen haben?«
»Genau das hat Sigmar behauptet.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Sie hatten damals schon mit Alkohol angefangen, gerade mal zwölf oder dreizehn Jahre alt. Sie waren zwar bestimmt nicht die Einzigen in unserem Viertel, aber sie haben ziemlich oft schlimm getrunken. Es hieß auch, dass Drogen mit im Spiel waren, was auch immer das damals bedeutet haben mag. Das muss aber nichts mit diesen Pillen zu tun gehabt haben. Durch das soziale Umfeld waren sie ja sozusagen schon prädestiniert dafür. Man erzählte sich, dass die Mutter von Kiddi Kolke auf den Strich ging. Hast du das gewusst? Das Leben war damals einfach gnadenlos.«
»Und dann sind sie gestorben oder einfach von der Bildfläche verschwunden.«
»Ich war damals auf dem Fußballplatz dabei, als der arme kleine Aggi starb, urplötzlich. Er fiel in eine Pfütze, und dann war es aus mit ihm. Uns wurde gesagt, dass es das Herz gewesen sei, Herzversagen.«
»Hast du irgendwelche Verbindungen zu den anderen Mädchen aus deiner Klasse?«
»Wir waren nicht sonderlich gut befreundet. Ich glaube, sie sind alle aus Reykjavík weggezogen. Ich habe sie kaum je getroffen, nachdem wir die Schule verlassen hatten. Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass mir irgendjemand gesagt hat, sie seien aufs Land gezogen. Im Übrigen ist Reykjavík inzwischen so groß geworden, dass die Menschen in der Menge verschwinden, und man sieht sich nie wieder.« »Wenn das stimmt, was Sigmar gesagt hat, warum haben dann die Mädchen nicht diese besonderen Pillen bekommen?«
»Es könnte schon sein, dass auch wir irgendwelche speziellen Pillen bekommen haben. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wenn ja, dann hatten sie bei mir allerdings keine besonderen Auswirkungen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Wohnungstür, und eine etwas mollige Frau trat ein. Pálmi stand auf, um sich zu verabschieden. Er wollte nicht stören und kam sich ausgesprochen fehl am Platz vor.
»Hulda, hier ist jemand aus meiner alten Schule. Er ist aber schon in Aufbruchstimmung.«
Die etwas stiernackige Hulda steckte in einem roten Hosenanzug, der sie als Angestellte der Isländischen Landesbank auswies. Sie kam ins Wohnzimmer und küsste Sólveig zärtlich auf den Mund.
»Fürchtet er sich vor Lesben?«, fragte sie.
Pálmi wusste, dass man ihm das ansehen konnte.
»Kannst du dich daran erinnern, Pálmi, womit die Jungs dich immer aufgezogen haben? Sie haben dich dauernd dazu gebracht, etwas Bestimmtes zu sagen, und dann haben sie sich vor Lachen ausgeschüttet. Und zwar, weil du bestimmte Laute nicht richtig aussprechen konntest. Entschuldige, dass ich das erwähne, aber du kannst bestimmt heute selber darüber lachen.«
»Ich kann mich an gar nichts erinnern«, erklärte Pálmi.
»Du musst etwa drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Ich hab Hulda oft davon erzählt. Auf jeden Fall konntest du schon sprechen. Sie haben dich immer ›Bonbons‹ und ›Bussi‹ sagen lassen. Und du hast übers ganze Gesicht gestrahlt, wenn du das gesagt hast.«
»Bonbons und Bussi?«, wiederholte Pálmi verständnislos. »›Was kriegt Pálmi von Mama?‹, haben sie dich gefragt. ›Was mag Pálmi am liebsten?‹ Mensch, was haben wir gelacht.« »Bonbons und Bussi?«
»Nein, so hast du das nicht gesagt,
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