Menschensoehne
das von unserer Klasse, auf dem ich auf dem Boden sitze und zu dir hochschaue. ›Das ist beinahe, als wäre ich dein Vater‹, sagtest du.
HALLDÓR: Ich wollte nicht aufdringlich sein. Verzeih mir. DANÍEL: Dann hast du dir das nächste Glas eingeschenkt und mir gesagt, dass du nie viel von meinem Vater gehalten hast, dass er es nie zu etwas gebracht hätte. ›Deine Mutter dagegen ist eine gestandene Frau‹, sagtest du. ›Eine Frau von Format, die sich nicht unterkriegen lässt.‹
HALLDÓR: Du hast Glück gehabt, eine solche Mutter gehabt zu haben, die sich wirklich um dich und deinen Bruder gekümmert hat. Gut, dass du einen Bruder und eine Familie hattest, die für dich da waren. Ich habe mein ganzes Leben lang niemanden gehabt außer mir selbst. Ich weiß nicht, ob ich Einfluss darauf hatte oder nicht, das weiß ich nicht. Ich ziehe es vor, das dem Zufall zuzuschreiben.
Schweigen .
DANÍEL: Du schienst gar nicht erstaunt zu sein, mich da drinnen bei dir zu entdecken. Du hattest wohl damit gerechnet, dass wir nach den Lebertranpillen suchen würden.
HALLDÓR: Diese verfluchten Lebertranpillen.
DANÍEL: Du hast mich gebeten, mich zu dir zu setzen, um mich mit dir zu unterhalten, weil du nur wenig mit Menschen zusammenkämst und dich lieber in deine Höhle zurückziehen würdest, um über den Zufall nachzudenken und zu trinken. Du hast gesagt, wie grauenvoll es sei, einsam zu sein, und dass ich mir eine schöne Frau suchen und hübsche kleine Kinder mit ihr haben sollte, ihnen ein schönes, ordentliches und vor Sauberkeit duftendes Zuhause aufbauen sollte. Und dann haben wir über deine Mutter und deinen Vater geredet.
HALLDÓR: Mutter und Vater! Ich habe weder eine Mutter noch einen Vater gehabt, Daníel. Mein Vater …, ich weiß nicht einmal, wer er wirklich war. Vielleicht der Mann, den ich einmal besucht habe, der alte Svavar. Ich wollte herausfinden, was er von mir hielt und ob wir einander ähnlich wären. Der hatte wahrscheinlich schon mehr als genug von all seinen anderen Kindern. Er hat mich rausgeworfen. Wir waren uns auch überhaupt kein bisschen ähnlich. Du verstehst das vielleicht, Daníel, dieses Bedürfnis, einen Vater zu haben. Es ist stark, stärker als alles anderen. Wir haben das Recht, bei einem starken Vater Zuflucht zu finden.
DANÍEL: Aber deine Mutter?
HALLDÓR: Über meine Mutter wollen wir lieber nicht reden, das würdest du nicht hören wollen. Sie hat sich nie richtig um mich gekümmert. Ich kann dir nur von einer Situation erzählen, als sie gut zu mir war. Die rufe ich mir immer ins Gedächtnis, wenn das Grauen unerträglich ist. Ich war vielleicht sieben Jahre alt. Es war zur Zeit der Heuernte. In dem Sommer waren wir bei einem guten Bauern. Wir hatten ordentliche Heuhaufen gemacht, und ich wurde zum Hof geschickt, um Kaffee und Butterbrote zu holen. Die Sonne schien, und unterwegs wurde ich von einer lauen Brise gestreichelt. Ich war glücklich. Ich dachte daran, wie gut ich es hätte. Als ich zurückkam, setzten Mama und ich uns bei einem Heuhaufen hin, nur wir beide, und wir saßen schweigend da, aßen unsere Brote, aber auf einmal drückte sie mich an sich und ließ mich dann gleich wieder los. Mehr war es nicht. Ein winziges bisschen Wärme, die ich seitdem in meinem Herzen trage. Jetzt weiß ich nicht einmal mehr, ob das überhaupt geschehen ist oder ob ich es mir nur eingebildet habe, aber es kommt mir so vor, als sei es tatsächlich gewesen.
DANÍEL: Dann habe ich gesagt, ich müsste gehen, weil Mama sich meinetwegen sorgen würde. ›Verzeih mir, dass ich bei dir eingebrochen bin‹, sagte ich. ›Ich werde es nie wieder tun.‹ Du fragtest, ob du ein schlechter Lehrer gewesen wärst. ›Habe ich euch jemals schlecht behandelt, habe ich euch geschlagen oder angebrüllt? War ich ein schlechter Lehrer?‹ Du hast uns immer all deine Lieblingsgeschichten vorgelesen, und wir durften auf deinem Schoß sitzen. Deswegen bist du beim Rektor angezeigt worden. Du hast gesagt, dass du zur Rede gestellt worden bist, weil die Mädchen eifersüchtig auf die Jungen waren. Dann hast du damit aufgehört, weil du vorsichtig sein musstest.
HALLDÓR: Und dann bin ich zu weit gegangen.
DANÍEL: Auf einmal war da ein anderer Ton in deiner Stimme. Du hast angefangen, über deine Hemden zu reden, und wie du mitten in diesem Krempel in sauberen, weichen, schönen weißen Hemden schliefst, und wie ruhig du in ihnen schlafen könntest. ›Sie sind mein Schutz und mein Schild‹,
Weitere Kostenlose Bücher