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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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verschlissen. Ein großer Bücherschrank bedeckte eine ganze Wand im Wohnzimmer, in dem die Bücher wahllos herumstanden oder -lagen. Auf dem senfgelben Teppichboden gab es eine deutliche Trittspur von der Küche ins Wohnzimmer. Die Luft war stickig, es roch nach einem Gemisch aus Kochfisch und Haarspray. »Darf ich dich noch um einen Augenblick Geduld bitten«, fragte Guðrún, die jetzt den dicken Wintermantel angezogen und sich einen Hut aufgesetzt hatte.
    »Aber selbstverständlich«, erwiderte Elínborg, die immer noch an der Tür stand.
    »Ich war gerade dabei, das Wasser etwas aufzuwärmen, als du geklingelt hast. Wärmst du das Leitungswasser nicht auch auf?«, fragte sie Elínborg, die überhaupt nicht begriff, wovon sie redete.
    »Ich finde, es ist so kalt, wenn es direkt aus dem Kran kommt«, sagte Guðrún zur Erklärung, »vor allem im Winter. Deswegen gebe ich es immer in einen kleinen Kessel und wärme es auf, um den Durst zu löschen. Tust du das nicht?«
    »Nein«, sagte Elínborg.
    Guðrún ging in die Küche und Elínborg sah, wie sie eine Kochplatte abschaltete, den Kessel zur Hand nahm und Wasser in ein Glas goss. Sie schien keine Eile zu haben und kehrte erst nach einiger Zeit wieder aus der Küche zurück.
    »Dann gehen wir jetzt wohl am besten«, sagte sie. »Wenn man das bloß schon eher hinter sich gebracht hätte.«
    Nachdem Guðrún den Mantel ausgezogen, den Hut abgenommen und einen Kaffee hingestellt bekommen hatte, nahm sie in Erlendurs Büro Platz und bat ihn um eine Zigarette.
    »Wie heißt du?«, fragte sie Erlendur, als sie einander gegenübersaßen und rauchten.
    »Erlendur Sveinsson.«
    »Kenne ich vielleicht deine Eltern?«
    »Mein Vater hat zuletzt in einem Stahlverarbeitungsbetrieb gearbeitet. Meine Mutter hieß Theódóra und war Verkäuferin in einem Kolonialwarenladen in der Innenstadt. Die hast du vielleicht gekannt.«
    »Hier kennt jeder jeden, wie du weißt. War sie in dem Geschäft in der Hafnarstræti?«
    »Ein ganze Weile.«
    »Ich glaube, ich kann mich an sie erinnern. Eine sehr nette und gut aussehende Frau. Du bist nicht nach ihr geraten.« »Können wir vielleicht zur Sache kommen?«
    »Ja, natürlich. Also, wir waren damals zu zweit, Rannveig und ich. Sie lebt nicht mehr, die Arme. Sie bekam Lungenkrebs, und dann hat es nur sechs Monate gedauert. Sie hat natürlich geraucht wie ein Schlot. Sie ist vor einem Jahr gestorben. Wir waren eng befreundet, und ich habe sie regelmäßig im Krankenhaus besucht. Wir haben oft darüber gesprochen, was da seinerzeit passiert ist, und über die Jungen. Kurz vor ihrem Tod sagte sie mir, sie wünsche sich, dass ich mit jemandem darüber spreche und erzähle, welchen Anteil wir an diesem Versuch hatten.«
    Erlendur hörte schweigend zu.
    »Rannveig war die Schwester von Sævar Kreutz.«
    »Moment mal, Sævar Kreutz? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
    »Er besitzt die Fentiaz-Pharmawerke. Wahrscheinlich weiß kaum jemand, dass er eine Schwester hatte.«
    »Sævar Kreutz, der in Deutschland …«, sagte Erlendur wie zu sich selbst, ohne den Satz zu Ende zu bringen. »Der sich aus dem Familienunternehmen zurückgezogen hat und in Zusammenarbeit mit deutschen Partnern eine eigene Firma gegründet hat. Er kommt kaum noch nach Island, höchstens ein paar Wochen im Jahr. Ein mehr als mysteriöser Mann.«
    »Rannveig und ich kennen uns seit unserer Ausbildung, und wir haben jahrelang am Nationalkrankenhaus zusammen gearbeitet. Sie kam eines Tages zu mir und bat mich um einen Gefallen. Es handelte sich um eine ganz besondere Aufgabe, die angeblich sehr gut bezahlt würde. Angeblich war es auch keine große Sache, aber aus irgendwelchen Gründen musste es in aller Heimlichkeit geschehen. Unsere Aufgabe war in der Tat sehr obskur. Wir mussten insgesamt vier Mal abwechselnd in die Víðigerði-Schule gehen, und zwar im Winter 67/68, um da einigen Jungen, die zu uns geschickt wurden, Blutproben zu entnehmen. Niemand durfte wissen, was wir in der Schule machten. Wir waren angewiesen worden, uns so unauffällig wie möglich zu bewegen, rasch zu arbeiten und die Schule unverzüglich wieder zu verlassen und mit niemandem darüber zu sprechen. Ich fand das irgendwie spannend und habe gar nicht darüber nachgedacht, was wir da überhaupt gemacht haben, und für wen. Wir durften nur das Allernotwendigste mit diesen kleinen Jungen reden, und wir haben ihnen Schokolade gegeben, um sie abzulenken. Für Schokolade hätten sie alles gemacht,

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