Menschenteufel
Freund
schüttelte den beiden die Hände und wandte sich an die Truppe.
»Für die wenigen, die mich nicht kennen: Ich bin Oberinspektor
Laurenz Freund und werde diese Sonderkommission leiten. Neben mir stehen Frau
Doktor Angela Gantz, die zuständige Untersuchungsrichterin, und Staatsanwalt
Doktor Ignaz Holtenstein.«
Er machte eine Pause, damit die Anwesenden sich die Namen merken
konnten.
»Sie, meine Herrschaften, sind hier, um die Ermittlungen zu
unterstützen. Dieser Raum wird unsere Einsatzzentrale. Wie Sie sehen, werden
gerade Computer installiert. Fünfzehn Stück, die sie gemeinsam alle benutzen
können.«
Er fasste an das Tuch. »Diese Sonderkommission läuft unter dem Namen
›Baal‹. Warum, das werden Sie gleich begreifen. Baal ist eine alte Bezeichnung
für den Teufel. Und heute Morgen wurde im Prater ein solcher gefunden.«
Ratlose Gesichter. Eine kurzer Ruck, und die Verhüllung fiel. An der
Wand hingen große Abzüge der Tatortfotos. Freund hörte ein Stöhnen durch den
Raum gehen. Dann wurde es totenstill. Der Anblick erschütterte selbst die
Abgebrühtesten.
»Mein Gott«, flüsterte jemand.
Der Schweiß auf den Gesichtern kam nicht mehr nur von der Hitze.
Freund hatte die passende Formulierung lange überlegt. Wie sollte er sagen? Das
Oberteil gehörte ursprünglich …? Der Oberkörper war früher der von …? Die obere
Hälfte …? Der Mensch …?
Sie hatten schon öfter mit einzelnen Leichenteilen zu tun gehabt.
Der Torso, den die Donauschleuse auffing. Das, was die Wildschweine von einer
im Wald vergrabenen Leiche übrig ließen. Augäpfel in Kaffeehaferln im
Kühlschrank aufbewahrt. Jeder Fall für sich war grauenvoll genug. Und doch
blieb dahinter ein Mensch erkenntlich. Denn keine war mit … mit etwas anderem
verbunden. Mit etwas, das auch einmal gelebt hatte. Aber nie ein Mensch gewesen
war. Als ob jemand diesen bestimmten Menschen bewusst zum Tier hatte machen
wollen. Mit welchen Worten wahrte man die Würde eines so entstellten Toten? Das
war schon bei weniger grausam zugerichteten Opfern schwierig. Der gängige Weg
war, das Problem zu versachlichen.
»Das heißt, wir wissen nicht, ob diese Gestalt den Teufel darstellen
soll. Es könnte auch eine Figur aus der altgriechischen oder römischen
Mythologie sein, ein Satyr, Faun oder Pan. Der menschliche Teil war auf jeden
Fall ein gewisser Alfred Wuster. Woher die Ziegenbeine stammen, ist uns noch
nicht bekannt.«
Er gab den Anwesenden einen Moment Zeit, sich zu fangen. Er
erinnerte sich an seine eigenen Empfindungen beim Anblick der ersten Bilder.
»Es gab noch keine Autopsie. Aber so viel ist schon jetzt klar: Hier
war jemand am Werk, der etwas vom Körperzerteilen versteht. Und davon, die
Teile wieder zusammenzusetzen.«
»Ein Arzt!« Der Zwischenruf kam von einem jungen Blonden, dessen
Namen sich Freund noch merken musste.
»Vielleicht. Es könnte auch ein Medizinstudent sein. Oder jemand,
der Medizin studiert hat, aber nicht praktiziert. Oder ein Veterinär. Und
natürlich gilt das auch für Frauen.«
»Das sind allein in Wien Tausende!«
»Dazu kommen noch die Tierpräparatoren«, warf Lukas Spazier ein.
Daran hatte Freund noch gar nicht gedacht. Überrascht sah er Spazier
an. Der Junge zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Werden nicht so viele sein.«
Freund fuhr fort: »Wie werden in einer Pressekonferenz um die Hilfe
der Öffentlichkeit bitten.« Währenddessen verteilte Varic Kopien. »Bis jetzt
wissen wir nicht viel. Die Techniker sind gerade bei Wuster zu Hause. Und Sie,
meine Damen und Herren, werden mir als Erstes das Leben des Opfers
durchleuchten. Ich will alles wissen. Wer er war. Wen er liebte. Wer ihn
hasste. Wann er aufs Klo ging. Alles.«
Freund zeigte auf den Laptop vor sich.
»Wir werden eine Datenbank mit dem Analyst’s Notebook einrichten.
Tragen Sie alles darin ein. Namen, Adressen, Telefonnummern, Ereignisse, andere
Informationen.«
Die neuen Mittel waren praktisch. Auch wenn Datenschützer sich nur
schwer damit anfreundeten. Aber sie halfen. Weil sie Verbindungen herstellten,
die man sonst nie oder zu spät entdeckte. Nicht weil es sie nicht gab. Sondern
weil sie an verschiedenen Stellen aufbewahrt wurden. Weil es zu viel Zeit
kosten würde, alles selbst durchsuchen zu müssen. Weil sie in verschiedenen
Formen aufbewahrt wurden, schriftlich, analog, digital. Die Software übernahm
Arbeit, für die Menschen viel länger brauchen würden. Das Analyst’s Notebook
stellte alles
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