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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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Luft
war abgekühlt. Es roch nach nassem Gras. Draußen herrschte noch immer
Finsternis, aber vor dem Fenster konnte er wieder die Silhouetten der
Heckenrosen erahnen. Die ersten Grillen und Frösche begannen ihre Lieder. Noch
einmal ein schwaches Leuchten. Die Geräusche aus der Regenrinne verstummten.
    Erst beim dritten Leuchten wurde ihm bewusst, dass die Ursache kein
später Blitz, sondern sein Handy war.
    Eine fremde Nummer auf dem Display. Es war drei Uhr vierzehn. Er
nahm das Gespräch an und meldete sich so leise wie möglich. Die Stimme erkannte
er sofort. Rudolf Obratschnik leitete die Gruppe Gewalt Eins und leistete heute
Bereitschaftsdienst.
    Zwei Minuten später hatte Freund seiner Frau eine kurze Notiz
geschrieben und war unterwegs.

Gefallener Engel
    Die Straßenlampen neigten ihre Köpfe über den nassen Asphalt,
als wollten sie darin ihre Spiegelbilder bewundern. Je tiefer Freund in die
Stadt gelangte, desto trockener wurden die Fahrbahnen. In dieser Nacht war das
Unwetter nördlich der Donau vorbeigezogen und hatte nur in nahe liegenden
Gebieten diesseits des Stroms gewildert. Die Schönbrunnerstraße präsentierte
sich so trocken wie am Vormittag. Nachzügelnde Windböen wirbelten Plakatfetzen
über den Gehsteig. Freund lenkte den Wagen stadteinwärts über die Rechte
Wienzeile und Hamburgerstraße bis zur Einmündung der Rüdigergasse. Dort
erwarteten ihn die ersten Blaulichter. Streifenpolizisten hielten zwei Männer
mit Kameras auf. Er bog nach links zum großen Parkplatz, auf dem in
Verlängerung des Naschmarkts jeden Samstagvormittag Wiens größter Flohmarkt
stattfand. Nur wenige Dutzend Meter weiter westlich verschwand darunter jener
Bach, der Wien seinen Namen gab, um ein paar Kilometer weiter beim Stadtpark
wieder ans Tageslicht zu gelangen.
    Die Uniformierten ließen ihn passieren. In der kurzen Gasse bis zum
Parkplatz warteten wenigstens ein Dutzend Einsatzwagen. Dem Durcheinander
zufolge hatte die Spurensicherung ihre Arbeit bereits erledigt. Oder
Obratschnik war schlampig. Aus der Ferne hörte Freund weitere Martinshörner
rasch näher kommen. Aufgeregte Polizisten liefen umher. Andere standen in
Gruppen beisammen. Die größte hatte sich unter einer frei hängenden
Straßenlampe versammelt und starrte hinauf.
    Etwa sieben Meter über ihren Köpfen baumelte ein unförmiger Schatten
direkt unter dem gleißenden Licht. Aus seinem ferneren Blickwinkel sah Laurenz
Freund noch die weiß beleuchtete Oberseite des Objekts. Seine Konturen
verrieten nichts. Als Freund näher kam, verwandelte es sich in eine finstere
Silhouette vor einer strahlenden Aura. Langsam, ganz langsam drehte sie sich
vor dem Nachthimmel.
    Die dünnen Strahlen mehrerer Taschenlampen irrten durch die Nacht
wie kleine Fliegerabwehrleuchtkanonen. Über das Gebilde tanzten helle Scheiben.
Für einen Moment meinte Freund, ein Auge zu erkennen.
    »Der Pepe sagte, ich soll dich informieren, nachdem ich Furler
Bescheid gegeben hatte.«
    Freund riss sich von dem Anblick los. Vor ihm stand Rudi Obratschnik
mit den Händen in den Hosentaschen.
    Von alleine wäre dir natürlich nicht eingefallen, deinen Fall mit
mir abzusprechen, so naheliegend das hier auch wäre, dachte Freund. Er hatte
nichts gegen den Leiter der Gruppe Gewalt Eins, aber zu seinen Freunden zählte
er ihn nicht.
    Gemeinsam gingen sie bis direkt unter den hängenden Schatten mit
seiner Lichtaura. Die Hintergrundbeleuchtung der Straßenlampe ließ Freund nur
düstere Schemen erkennen. Er nahm einem Polizisten die Taschenlampe ab, legte
seinen Kopf in den Nacken und richtete den Strahl nach oben.
    Als Erstes traf der Schein etwas, was wie eine Kralle aussah. Hatte
sich ein großer Vogel in der Lampe verfangen? Deshalb hätte man ihn nicht
gerufen. Langsam tastete er mit dem Licht den Körper ab. Die Kralle ging in ein
dünnes, langes Vogelbein über, das sich nach etwa einem halben Meter zu einem
Knoten verdickte. Nach einem weiteren verjüngten Teil verschwand es in einer
Art Federboa. Parallel dazu streckte sich das zweite Bein und vereinte sich mit
dem anderen in einem Rumpf. Ein großer Laufvogel, dachte der Oberinspektor. Ein
Strauß vielleicht oder ein Emu. Der Bauch sah rasiert aus.
    Er merkte, wie der Lichtpunkt da oben zu zittern begann. Auch die
anderen registrierten es. So rasch wie möglich, ohne das Objekt aus dem Fokus
zu verlieren, lenkte er den Strahl an dessen anderes Ende. Einen Augenblick
lang durchfuhr ihn Erleichterung, als er Flügel entdeckte.

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