Menschenteufel
in der altgriechischen Mythologie Wesen,
die halb Frau, halb Vogel sind. Fragt mich aber nicht nach ihrem Namen oder
ihrer Bedeutung.«
Sie tauchten aus dem Schatten des Ungetüms ins Licht der Lampe.
Freund musste eine Hand vor seine Augen halten. Langsam gewöhnte er sich an die
Helligkeit. Endlich erreichten sie eine Höhe, in der sie es von oben betrachten
konnten. Der nackte Rücken wies Falten und rote Flecken auf.
»Sieht aus wie Abschürfungen«, bemerkte Wanek.
Warum ihn gerade diese Bemerkung so traurig machte, wusste Freund
auch nicht.
Am oberen Ende ging der Rücken in einen Nacken über, der den Kopf
ungewöhnlich waagrecht hielt. In dieser Haltung musste er eigentlich hängen,
wurde aber von einem dünnen weißen Strick gehalten. Dieser vereinte sich mit
drei weiteren, vom Rumpf und den Vogelfüßen kommend, in einem Knoten unterhalb
der Lampe. Von dort lief ein stärkeres Seil über die Tragseile der Lampe nach
unten, wo es an einem Radständer festgebunden war.
Statt der Arme hingen kurze Flügel wie altmodische Staubwedel von
den Schultern. Wo sonst das Kreuzbein ins Gesäß überging, endete der Torso
abrupt. Stattdessen setzte sich der Unterleib des Laufvogels mit seinen
graubraunen Federn fort und endete in den weit nach hinten gestreckten Klauen.
Obratschnik keuchte.
Mit wackeligen Bewegungen manövrierte Freund sie neben den Kopf,
dessen lange Haare noch immer das Gesicht verbargen. Mit einem unsanften Ruck
stoppte er.
Der Wind zerrte am Korb, den ein beständiges Zittern durchlief. Als
Freund sich nach vorn lehnte, begann das Gestell auf und ab zu wippen. Mit
seinem ausgestreckten Arm erreichte er gerade die Haare der Frau. Ungepflegte
Strähnen wurden von einer Bö verwirbelt. Im Kunstlicht war ihre Farbe schwer zu
bestimmen. Auf Freund wirkten sie dunkelbraun, vielleicht mit einem Schuss
Kupfer. Als er sie zu fassen bekam, fühlten sie sich verklebt und fettig an. Er
strich sie über den Nacken zurück und beugte sich vor, um das Gesicht besser zu
erkennen. Dazu musste er ihren Kopf anheben.
Ihre Züge waren zu einer unmenschlichen Grimasse entstellt. Trotzdem
erkannte er sie sofort. Sanft ließ er den Kopf los und wandte sich an
Obratschnik.
»Tja, willkommen im Team.«
Vorsichtig schob Freund den Korb näher. Die Gerichtsmedizinerin
betrachtete das Gesicht des Opfers eingehend. Wie bei Wuster wies es auf
unvorstellbare Schmerzen in den letzten Minuten hin.
»Kennst du sie?«, fragte sie Freund.
»Ich glaube, es ist Hermine Rother«, antwortete er. »Sie verschwand
am selben Tag wie Alfred Wuster, der Teufel aus dem Prater. Wenn sie es
wirklich ist, waren es außerdem ihre Haare, mit denen Wuster und der Ziegenbock
zusammengenäht wurden.«
Wanek untersuchte bereits die Verbindungsstelle zwischen Rumpf und
Flügeln. »Wieder so aufwendig genäht wie beim ersten Mal«, stellte sie fest.
»Ich bin neugierig, womit diesmal.«
»Daran habe ich auch gerade gedacht: Ihre Haare bei Wuster sollten
uns womöglich einen Hinweis auf das nächste Opfer geben. Und vielleicht finden
wir diesmal wieder einen.«
»Dann solltet ihr aber schneller sein als bei ihr hier«, bemerkte
Obratschnik.
Freund fiel nichts Besseres ein, als ihm einen giftigen Blick
zuzuwerfen.
»Von was für einem Vogel wohl die Teile stammen?«
»So viele kommen nicht in Frage«, erwiderte Wanek. »Bei den Beinen
muss es irgendein großer Laufvogel sein. Strauß, Nandu, Emu oder Kasuar.«
»Wo er den wieder herhat …«
»Glaubst du, dass es nur ein Täter ist?« Sorgfältig tasteten ihre
Finger über die Verletzungen am Rücken.
»Wir wissen es nicht. Wenn ich mir den Aufwand ansehe, der hier
getrieben wurde, könnte man an der These zweifeln. Andererseits …
wahrscheinlich kann man diese Personalisierung sogar recht flott arrangieren,
wenn man sich gut vorbereitet. Die Stricke werden bereits vorher am Körper
montiert. Dann muss man nur mehr herfahren, den Leichnam ausladen, den
Hauptstrick über die Drahtseile der Lampe werfen und das Ganze hochziehen. Dann
noch am Fahrradständer vertäuen, und das war’s. Eine Aktion von ein paar Minuten
wahrscheinlich.«
»Und das soll keiner gesehen haben?«, fragte Obratschnik.
»Wer hat ihn überhaupt entdeckt?«
»Ein Betrunkener, der nach dem Gewitter nach Hause wollte.«
»Da hast du auch schon deine Antwort. Während des Gewitters war es
ziemlich finster …«
»Vor allem direkt unter der Lampe«, höhnte Obratschnik.
»Aber dort neben den Häusern findet
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