Menschenteufel
Abdrücke einer Schubkarre. Der
Ziegenbockwuster hatte siebzig Kilogramm gewogen. Freund hatte weniger
geschätzt. So ein Gewicht allein zu tragen, erforderte gewaltige Kraft.
Vielleicht waren es mehrere Täter gewesen. Innerhalb von drei Tagen
war eine Menge zu erledigen. Einen Menschen entführen. Ihn verstecken. Ihn
unbemerkt gefangen und am Leben halten. Einen Ziegenbock stehlen. Die Operation
durchführen. In ein geeignetes Fahrzeug verladen. In ein normales Auto passte
die Gestalt nicht. Herfahren. Auf den geeigneten Moment warten. Ausladen. Quer
über die Wiese bringen. Aufstellen.
Mitglieder des Teams hatten die ganze Nacht an der Stelle gewartet.
Nachtschwärmer angesprochen und befragt. Keiner war vorgestern Nacht hier
vorbeigekommen. Sie hatten die Bewohner der umliegenden Wohnhäuser interviewt.
Doch deren Blick auf die Wiese war von Bäumen verstellt.
Die Sonne war jetzt hinter den Dächern des dritten Bezirks
verschwunden. Im Dämmerlicht war der Fußball immer schwerer zu erkennen. Die
Spieler packten zusammen. Freund blieb noch unter dem Baum stehen. Fünf Minuten
später war der Platz leer.
Er wollte gerade auf die freie Fläche hinaus, da löste sich auf der
gegenüberliegenden Wiesenseite aus dem Schatten der Bäume eine dunkle Gestalt.
Freund hätte ihr keine Beachtung geschenkt, wäre sie nicht ganz in einen
bodenlangen, schwarzen Mantel gehüllt gewesen. Eilig schritt sie auf den Rasen.
Beim Näherkommen erkannte Freund einen Priester in Soutane. Seine Hände hielt
er in den weiten Ärmeln verborgen.
Am Fundort der Leiche hatten dutzende Polizisten, Spurensicherer,
Mediziner und später Schaulustige den Rasen fast vollkommen zerstört.
Zurückgeblieben war eine Glatze wie im Torraum eines schlecht gepflegten
Fußballplatzes. An ihrem Rand hielt der Geistliche. Er sah sich um und
bekreuzigte sich. In seiner anderen Hand erkannte Freund einen Stab mit einem
kleinen Behälter am Ende. Während Freund leises Murmeln vernahm, begann der
Mann, den Fundort langsam abzuschreiten und dabei mit dem Stab in allen
Richtungen zu wedeln.
Er verspritzte Weihwasser! Das unverständliche Gebrabbel, das Freund
hörte, waren wahrscheinlich irgendwelche beschwörende, das Böse vertreibende
Formeln und Gebete.
Kam ein Priester allein auf solche Ideen? Oder wurde er von einer
höheren Stelle geschickt? Freund wurde an die Wiener Sagen aus dem Mittelalter
erinnert. Noch haben wir die Zeit nicht hinter uns gelassen, dachte er.
Vielleicht war das auch gut so. Jeder Mensch brauchte andere Erklärungen.
Während des Jusstudiums hatten sie die Theorien des Bösen
angerissen. An die Details erinnerte sich Freund nur mehr vage. Am wichtigsten
erschienen (und deshalb in Erinnerung geblieben) war ihm der Unterschied
zwischen Abhängigkeit vom Standpunkt und Absolutheit. Freund vertrat die
Meinung, dass es letztlich vom Blickwinkel des Einzelnen abhing, was als Gut
und Böse gewertet wird. Eine Gesellschaft konnte sich aus diesen
Einzelstandpunkten auf eine Norm einigen. An die Existenz eines absolut Bösen,
wie viele Religionen sie entwarfen, glaubte er nicht.
Der Mann Gottes hatte seinen Exorzismus abgeschlossen. Noch einmal
schlug er das Kreuz, kniete dabei kurz nieder, bevor er mit langen Schritten
und ohne sich umzusehen, den Ort Richtung Norden verließ. Wie in einem
Horrorfilm, wo der verzweifelte Einzelkämpfer Gottes entschlossen in die
nächste Schlacht zieht.
Ein schwarzer Mann am Tatort. Musste Freund ihm folgen, ihn
befragen? Sein Gefühl sagte nein, und er wartete, bis der Geistliche
verschwunden war, dann ging er selbst auf die Wiese hinaus. Den Ort konnte
Freund auf den Meter genau bestimmen. Nie wieder würde er ihn vergessen. Die
Stelle hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Er stellte sich darauf. Genau
dorthin, wo die beiden Hufe den Boden berührt hatten. Wo die Stange gesteckt
hatte. Dort stand er und sah ins Dunkelblau hinauf. Er streckte die Arme aus.
Warum?
Warum so?
Wie fühlte man sich so? Was hatte der Täter gefühlt?
Er ließ die Arme wieder sinken. Dann den Blick. Wohin hatte der
Teufel gesehen? In den Himmel? Auf den Weg? Zum Spielplatz? Zu dem kleinen
Pumpbrunnen, an dem sich Sportler und Spaziergänger erfrischten?
Der Täter kommt an den Tatort zurück. So sagte man. Manchmal tat er
das wirklich. Noch einmal musste er an den Priester denken und hoffte, keinen
Fehler gemacht zu haben, als er ihn einfach hatte gehen lassen.
Auch die Ermittler kamen wieder. In der Hoffnung,
Weitere Kostenlose Bücher