Menschliche Einzelteile (German Edition)
und brüllten ihn im Chor
an: „Halt die Fresse!“
Einer
sagte „Schnauze“ statt „Fresse“, doch das
fiel nicht weiter ins Gewicht. Immerhin hatte Sören damit für
ein Ende der Diskussion gesorgt und Remo übernahm wieder das
Steuer.
„ Na
gut, wir müssen also jetzt erstmal sehen, wer da am Telefon ist
und was er will. Ich bin immer noch dafür, dass wir Frau Doktor
hier an den Apparat gehen lassen. Wir können ja auf
Lautsprecher stellen, wenn das Ding einen hat …“
Weiter
kam Remo nicht. Ewald verlor die Nerven und stapfte quer durch das
Wohnzimmer. Sören dachte zuerst, er bekomme jetzt wieder eins
in die Schnauze, doch Ewald schlüpfte hinter dem Sofa vorbei
zum Telefon, riss das Gerät von der Ladestation und studierte
das Tastenfeld eine Sekunde lang. Dann drückte er eine Taste,
hielt sich das Telefon an sein Ohr und bellte: „Hier ist
keiner daheim und wir gehen auch gleich, du Arschloch!“
Remo
fluchte los – offenbar auf Sächsisch, denn der Fluch
bestand zu 80% aus den Buchstaben Ä, Ö und Ü. Sören
verstand kein Wort. Dann hatte Remo Ewald erreicht und versuchte,
ihm den Hörer aus der Hand zu ringen. Als Ewald einige Schritte
zurückwich und den Hörer nicht herausrückte, wandte
sich Remo der Ladestation zu.
Remo
studierte kurz das Bedienfeld der Ladestation und wandte sich kurz
zu allen anderen um.
„ Ihr
haltet jetzt alle die Klappe. Ich will keinen Ton hören,
verstanden?“
Dann
drückte Remo eine der Tasten. Der Lautsprecher der Ladestation
erwachte mit einem Knacken zum Leben. „Hallo? Wer ist da?“,
sagte Remo mit erhobener Stimme.
Aus
dem Lautsprecher der Ladestation drang zunächst nur Stille und
ein leises Knistern. Dann eine Männerstimme: „Hallo?“
„ Ja,
hallo?“, rief Remo zurück. „Können sie mich
verstehen? Wer spricht denn da?“
Einige
Sekunden lang herrschte wieder Stille. Dann erneut die Stimme,
diesmal mit einer gehörigen Portion Unglauben: „Winkelmann?“
Remo
fuhr zurück. „Ach du Scheiße!“
Sören
verstand überhaupt nichts. Der Mann am Telefon hätte statt
„Winkelmann“ auch „Bahnhof“ sagen können.
Oder „Differentialrechnung“ - das hätte Sören
ebenso wenig verstanden. Remo hingegen wirkte geschockt. Mit
Differentialrechnung hatte er sicherlich auch nicht viel am Hut,
doch „Winkelmann“ schien er zu verstehen.
Die
Stimme am Telefon legte nach: „Winkelmann, du alter
Stasi-Spion! Was machst du denn da drin? Und wer war der andere? War
das etwa der Ewald Kleiber?“
Remo
presste beide Hände auf den Lautsprecher. „Oh Scheiße.
Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
Selbst
Ewald stimmte zu: „Scheiße!“
Der
Schinken wirkte eher skeptisch. „Scheiße?“
Remo
bekräftigte: „Ja, Scheiße.“
Also,
wenn das für diese Gangster Scheiße war, dann konnte es
für Sören nur gut sein. „Jetzt wird alles gut“,
flüsterte er der Kleinen zu. Sie zitterte weiter, doch
wenigstens pfiff sie Sören nicht an, er solle seine Fresse
halten.
Remo
nahm die Hände wieder vom Lautsprecher. „Litzinger, sind
sie das?“, fragte er.
„ Na
klar bin ich das. Sag mal, Winkelmann, was hast du in dieser Villa
zu suchen? Du willst mir doch nicht erzählen, Doktor von
Brechtow hätte dich zum Abendessen eingeladen, oder?“
„ Nein
nein, also … Moment, wieso eigentlich nicht?“
„ Weil
niemand einen Armleuchter wie dich zum Essen einlädt. Und den
Kleiber schon gar nicht. Wie sieht es aus, willst du nicht zu mir
rauskommen? Ich würde mich gerne mal mit dir unterhalten.“
Remos
Kopf ruckte hoch. „Rauskommen? Moment!“ Er presste
wieder seine Hand auf die Ladestation. „Detlev, schau mal aus
dem Fenster, ob die fette Sau da draußen irgendwo
herumschleicht.“
Detlev
marschierte an Sören vorbei zum Fenster, zog den Vorhang
beiseite und spähte nach draußen zur Einfahrt.
„ Oh
Mist!“ Detlev zuckte vom Fenster zurück und tauchte ab.
„Die sind da draußen, Remo. Die ganzen Bullen aus
Pfalzenberg. Die sind direkt da draußen. Oh Mann, was sollen
wir jetzt machen?“
„ Jetzt?“
Remo ließ sich auf die Lehne der Couch sinken. „Jetzt
sind wir im Arsch.“ Er nahm die Hände wieder vom Telefon
und zog seine Strumpfmaske ab. Diesmal zeterte Ewald nicht, sondern
folgte seinem Beispiel. Detlev und der Schinken ebenfalls. Nur der
Typ aus Frankfurt behielt seine Maske auf.
Sören
atmete innerlich auf. Polizei. Die Bande war erledigt. Er war aus
dem Schneider. Er würde überleben. Und er hatte sich gar
nicht mal so
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