Menschliche Einzelteile (German Edition)
schlecht verkauft. Außerdem konnte er die Chance
wahren, die Kleine am Ende doch noch anzubaggern. Und das Geld des
Eisenonkels konnte er auch wieder zurückbringen. So fand der
Abend einen versöhnlichen Abschluss!
„ Winkelmann?“,
tönte es aus dem Lautsprecher „Bist du noch da, du Ossi?
Als ich den Bus von deinem verblödeten Kumpel Bock vor der Tür
gesehen habe, war mir gleich klar, dass du irgendwie in die Sache
verwickelt bist. Wenn hier in Pfalzenberg Scheiße gebaut wird,
dann sind Remo Winkelmann und Ewald Kleiber immer dabei. Ist ja
allgemein bekannt, nicht wahr?“
Der
Schinken rückte an Remo heran. Obwohl der Riese flüsterte,
konnte Sören, der direkt hinter Remo saß, alles
verstehen: „Mann, wer ist dieser Litziger?“
„ Das
ist unser Dorfsheriff“, sagte Remo.
„ Das
kapiere ich nicht“, sagte der Schinken. „Was macht euer
Dorfsheriff denn um diese Zeit hier draußen?“
14. Pfalzenberg Sturmfront
Hubert
Litzinger, 54 Jahre alt, deutliches Übergewicht. Hubert leitete
den Polizeiposten von Pfalzenberg und hatte das Kommando über
sechs Polizeibeamte.
In
der Regel begann der Dienst im Polizeiposten mit der Frühschicht
um 7 Uhr und endete nach der Spätschicht um 19 Uhr. An
Wochenenden war der Polizeiposten nicht besetzt. Dennoch trieben
sich Hubert und seine Mannen an diesem Abend vor der Villa von
Brechtow herum.
Die
Ursache für diese Sonderschicht war ein Anruf von Robert
Günther Hundertmarck, dem Direktor der
Annette-von-Droste-Hülshoff-Gesamtschule in Pfalzenberg. Er
meldete sich am Freitag Vormittag bei Hubert und informierte ihn
über das Auftauchen zweier ehemaliger Schüler am Rand des
Pausenhofs.
Bei
den beiden Ehemaligen handelte es sich um Tim Pfister und Gerald
Vogler. Entgegen der Erwartungen des Lehrerkollegiums war es den
beiden gelungen, den Hauptschulabschluss zu erreichen. Seither gaben
sich die beiden der Arbeitslosigkeit hin.
Nun,
etwa ein Jahr nach ihrem Schulabschluss, tauchten die beiden am
Pausenhof auf, bewaffnet mit einem Kasten Bier. Sie berichteten, sie
seien Skinheads geworden. Ihr Publikum bestand dabei aus Schülern
der siebten und achten Klasse, die mit offenen Mündern staunend
zuhörten.
Skinheads.
Dabei verfügten weder Pfister noch Vogler über genügend
Intellekt, um sich für eine politische Gesinnung zu
entscheiden. Das Dritte Reich hielten die beiden für einen
Level in einem Fantasy-Computerspiel. Außerdem hatten sie sich
nicht einmal die Haare abrasiert. Aber Bomberjacken sahen cool aus,
in Armeestiefeln konnte man gut laufen, die Musik kam fett und man
hatte immer jemanden, dem man die Fresse polieren konnte: Ausländer.
Abgesehen
davon war den beiden zu Ohren gekommen, es sei verwerflich, ein
Skinhead zu sein. Das passte perfekt in das Weltbild der beiden,
denn schließlich wollten sie keine Spießer werden. Sie
wollten ihre Mitmenschen schocken, wann und wo immer dies möglich
war. Hätte man Pfister und Vogler gesagt, es sei verwerflich,
mit Zylinderhüten, Frack und Schwimmflossen durch die Stadt zu
laufen, so wären die beiden nur einen Tag später als
schlechte Dagobert-Duck-Imitationen durch die Straßen
geplatscht. Leider war jedoch bislang noch kein Spaßvogel mit
einem ausreichend schrägen Humor aufgetaucht, um die beiden auf
diese Weise der Lächerlichkeit preiszugeben.
Also
waren Pfister und Vogler Skinheads geworden und hatten gemeinsam mit
vier weiteren Jungs aus den umliegenden Dörfern die
Organisation „Pfalzenberg Sturmfront“ gegründet.
Ihre Treffen hielten sie im Partyraum im Keller des Hauses der
Pfisters ab. Dazu hatten sie den Raum mit allerlei faschistischen
Insignien geschmückt. Politische Fragen wurden bei den Treffen
nicht erörtert, doch es wurde viel Bier konsumiert und viel
„Sieg Heil!“ gebrüllt.
An
diesem Freitagabend sollte nun die Zeltdisco auf dem Sportplatz zu
Pfalzenberg starten. Dort traf sich einmal im Monat die Dorfjugend,
um ein wenig Spaß zu haben und einige Liter dünnes
Festzeltbier zu vernichten. Für Pfister, Vogler und die anderen
„Skinheads“ eine ideale Möglichkeit, die
Schlagkraft ihrer Truppe zu demonstrieren.
Wie
die beiden selbst ernannten „Führer“ ihrem
staunenden Publikum auf dem Schulhof mitteilten, würden bei der
Disco genug Mitbürger mit Migrationshintergrund anwesend sein,
um das Schlagwaffenarsenal der „Sturmfront“ einem
ausgiebigen Belastungstest zu unterziehen. Auf dem Weg zur Disco
würde der Tross beim Polizeiposten Halt machen. Dort
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