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Menschliche Einzelteile (German Edition)

Menschliche Einzelteile (German Edition)

Titel: Menschliche Einzelteile (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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was
ihn in dieser Nacht noch alles erwartete. Im Augenblick meinte er zu
ahnen, er sei bereits in der Hölle angekommen. Tatsächlich
hatte er noch nicht einmal die halbe Strecke bis dorthin geschafft!
    In
seiner Unwissenheit gestattete er sich ein Aufatmen. Die Schießerei
hatte aufgehört und er hatte sie ohne Löcher überstanden.
Dies stellte zwar noch lange keine grundsätzliche Wende zum
Besseren dar, doch immerhin schien Sörens Oberlippe wieder die
Oberfläche der Scheiße durchbrochen zu haben, in der er
steckte. Außerdem hatte die Kleine endlich Notiz von ihm
genommen. Hoffentlich blieb ihm genug Zeit und Gelegenheit, diesen
ersten Kontakt ein wenig auszubauen.
    Die
Gangster würden ihm dabei nicht in die Quere kommen – so
viel stand fest. Die waren zu sehr damit beschäftigt, ihre
Waffen auf die Wohnzimmertür zu richten und dabei zu schnaufen,
als wollten sie ihre Lungen zum Platzen bringen. Sören kannte
das. Er selbst hatte schon solche Panikattacken erlebt –
insbesondere vor Mathearbeiten oder wenn ihm seine Mutter ein
Zäpfchen verabreichte. Sören wusste auch genau, was in
einer solchen Situation zu tun war, doch er konnte den Gangstern
schlecht vorschlagen, sie sollten sich Papiertüten über
die Köpfe stülpen, um nicht zu hyperventilieren.
    Bei
dieser Gelegenheit wunderte sich Sören, weswegen er selbst
nicht hyperventilierte. Vermutlich hatten ihn die Erlebnisse der
letzten beiden Stunden zu weit über die Grenzen der Panik
hinaus katapultiert. Sören befand sich nun im Stadium des
Nerventodes. Würde er das hier überstehen – womit er
insgeheim nicht rechnete -, dann würde er den Rest seines
Lebens vermutlich in einem Sanatorium verbringen. Und Mutter Agnes
Freya würde es begrüßen. Sie würde es chic finden, einen Sohn im Sanatorium zu haben. Dann konnte sie bei ihren
Freundinnen damit angeben, wie schwer sie es doch mit ihrem
missratenen Sohn habe. Und alle würden ihr Komplimente machen,
was sie doch für eine starke Frau sei und mit welcher Fassung
sie diese Situation ertrage. Das sei ja sooo bewundernswert. Agnes
Freya würde es lieben, während Sören in der
Gummizelle versauerte.
    „ Die
sind weg.“ Detlev zerrte Sören geradewegs aus dem
gedanklichen Sanatorium, in das er sich bereits eingeliefert hatte.
    „ Quatsch!
Du blöder Hornochse!“ Ewald natürlich – wer
auch sonst? „Die hocken immer noch da hinten im Flur. Ich kann
sie doch hören. Die lachen sich über uns kaputt.“
    „ Was?“,
rief der Schinken. „Ich höre so gut wie überhaupt
nichts mehr. Wir hätten uns Ohrenstöpsel mitnehmen
sollen.“
    „ Scheißegal
jetzt“, rief Remo dazwischen. „Ihr bleibt erstmal alle,
wo ihr seid. Vielleicht versuchen die, über die Hintertreppe in
die Küche zu kommen, um uns von rechts her anzugreifen. Und
denkt daran, eure Knarren nachzuladen.“
    Sofort
wurden Magazine gewechselt und Patronen in Waffen geschoben. Auch
Jessy fummelte an ihrer Glock 17 herum, jedoch ohne Erfolg. Sie
bekam das Magazin nicht heraus. Remo wandte sich ihr zu. „Du
nicht, Baby. Du hast überhaupt nicht geschossen. Außerdem
hast du keine Munition für das Ding.“
    Dann
wurden die Waffen mit viel Ritschratsch und viel Klickklack
durchgeladen und wieder in Anschlag gebracht. Auch das Geschnaufe
nahm ein Ende – die Männer fanden allmählich ihren
gewohnten Atemrhythmus wieder.
    Und
dann kehrte Stille ein.
    Alle
warteten ab. Sören wusste, irgendetwas würde passieren.
Wer immer diese beiden Killer auch waren – sie würden
nicht aufgeben. Sie hatten ganz bestimmt einen üblen Plan
geschmiedet, den sie gerade in die Tat umsetzten. Während die
Gangster hier warteten, würden Max und Margit plötzlich
aus einer völlig unerwarteten Richtung über sie
hereinbrechen wie ein Unwetter. Doch von welcher Seite würden
sie angreifen?
    Von
welcher Seite?
    Sören
wollte seinen Blick durch das Zimmer wandern lassen, doch sein Kopf
gehorchte ihm nicht. Die Spannung nagelte ihn auf dem Boden vor der
Couch fest und verurteilte ihn zur Bewegungslosigkeit.
    Etwas
würde passieren – und zwar bald. Diese Stille, diese
Spannung … das konnte nicht mehr lange gut gehen. Das konnte
nicht so bleiben. Jeden Augenblick musste etwas geschehen. Etwas,
womit niemand rechnete. Oder vielleicht auch etwas, womit alle
rechneten, was dann aber ganz anders ablief, als man es erwartet
hatte. Oder etwas, über das niemand nachdachte, obwohl es jedem
hätte klar sein müssen.
    Oder
es passierte einfach etwas völlig

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