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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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«Kommunikation» in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet: als allgemeine Bezeichnung eines Wissensgebietes und als Name für eine noch nicht näher begrenzte Verhaltenseinheit. Für den pragmatischen Aspekt der menschlichen Kommunikationstheorie werden wir einfach den Ausdruck «Kommunikation» beibehalten. Die zweite Bedeutung dagegen bedarf einer Unterteilung. Eine einzelne Kommunikation heißt Mitteilung (message) oder, sofern keine Verwechslung möglich ist, eine Kommunikation. Ein wechselseitiger Ablauf von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird als Interaktion bezeichnet. (Dem an genauerer Quantifizierung interessierten Leser können wir nur sagen, dass eine Interaktion mehr als eine einzelne Mitteilung, aber nicht unbegrenzt ist.) In den Kapiteln 4 bis 7 sollen schließlich Strukturen von Interaktionen (patterns of interaction) beschrieben werden, die noch komplexere Einheiten menschlicher Kommunikation darstellen.
    Es muss ferner daran erinnert werden, dass das «Material» jeglicher Kommunikation keineswegs nur Worte sind, sondern auch alle paralinguistischen Phänomene (wie z. B. Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache, Pausen, Lachen und Seufzen), Körperhaltung, Ausdrucksbewegungen (Körpersprache) usw. innerhalb eines bestimmten Kontextes umfasst - kurz, Verhalten jeder Art.
    2.22 Verhalten hat vor allem eine Eigenschaft, die so grundlegend ist, dass sie oft übersehen wird: Verhalten hat kein Gegenteil, oder um dieselbe Tatsache noch simpler auszudrücken: Man kann sich nicht nicht verhalten. Wenn man also akzeptiert, dass alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation' Mitteilungscharakter hat, d. h. Kommunikation ist, so folgt daraus, dass man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht kommunizieren kann. Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikationen reagieren und kommunizieren damit selbst. Es muss betont werden, dass Nichtbeachtung oder Schweigen seitens des anderen dem eben Gesagten nicht widerspricht. Der Mann im überfüllten Wartesaal, der vor sich auf den Boden starrt oder mit geschlossenen Augen dasitzt, teilt den anderen mit, dass er weder sprechen noch angesprochen werden will, und gewöhnlich reagieren seine Nachbarn richtig darauf, indem sie ihn in Ruhe lassen. Dies ist nicht weniger ein Kommunikationsaustausch als ein angeregtes Gespräch.2

    Man kann auch nicht sagen, dass Kommunikation nur dann
stattfindet, wenn sie absichtlich, bewusst und erfolgreich ist, d. h., wenn gegenseitiges Verständnis zustande kommt. Die Frage, ob
eine empfangene Mitteilung der ausgesandten entspricht, gehört,
so wichtig sie an sich ist, nicht hierher: Letzten Endes könnte sie
ja nur auf der Grundlage spezifisch introspektiver oder subjektiver Angaben beantwortet werden - also einer Form von Daten,
die (wie schon mehrfach betont) in einer auf beobachtbarem Verhalten beruhenden Kommunikationstheorie unberücksichtigt
gelassen werden müssen.

    2.23 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, ist eine Tatsache von mehr als nur theoretischem Interesse. Sie ist z. B. ein
wesentlicher Teil des schizophrenen Dilemmas. Wenn schizophrenes Verhalten unabhängig von ätiologischen Überlegungen
beobachtet wird, so hat es den Anschein, als versuche der Patient,
nicht zu kommunizieren. Da aber selbst Unsinn, Schweigen,
Absonderung, Regungslosigkeit (Haltungsschweigen) oder irgendeine andere Form der Verneinung oder Vermeidung von
Kommunikation selbst eine Kommunikation ist, steht der Schizophrene vor der fast unmöglichen Aufgabe, jede Mitteilung zu
vermeiden und gleichzeitig zu verneinen, dass sein Verneinen
selbst eine Mitteilung ist (vgl. Abschnitt 6.444). Das Verständnis
dieses grundsätzlichen Dilemmas ist ein Schlüssel zu so manchen
Erscheinungsformen schizophrener Kommunikation, die sonst
unverständlich bleiben würden. Da jede Kommunikation, wie
noch gezeigt werden soll, eine Stellungnahme bedeutet und der
jeweilige Sender damit seine Definition der Beziehung zwischen
sich und dem Empfänger zum Ausdruck bringt, darf angenommen werden, dass der Schizophrene eben diese Stellungnahme
dadurch zu vermeiden trachtet, dass er versucht, nicht zu kommunizieren. Ob dies in einem kausalen Sinn sein Grund ist, bleibt
natürlich unbeweisbar; dass es die Wirkung schizophrenen Verhaltens ist, soll in Abschnitt 3.2

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