Menschliche Kommunikation
verliert dabei ihre überragende Bedeutung, die sie in der Psychodynamik hat. Damit soll
nicht gesagt sein, dass es gleichgültig ist, ob Verhaltensformen
subjektiv als bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unabsichtlich oder symptomatisch empfunden werden. Für den, dem
jemand auf die Zehen tritt, ist es bestimmt nicht dasselbe, ob der
andere es absichtlich oder unabsichtlich getan hat. Diese Entscheidung aber beruht auf seiner Beurteilung der Motive des
anderen und daher auf seiner Annahme hinsichtlich dessen, was
im Kopf des anderen vorging. Selbst wenn er den anderen über
dessen Motive befragen würde, ließe sich diese Frage nicht eindeutig klären, denn der andere könnte den Zwischenfall als unbeabsichtigt hinstellen, während er ihn bewusst herbeigeführt hat,
oder sogar umgekehrt Absicht vortäuschen, wo in Wirklichkeit
nur Zufall vorlag. All dies führt uns wiederum zu dem schwierigen Problem der Zumessung von «Bedeutung», eines Begriffs,
der für das subjektive Erleben des Kommunizierens mit anderen
unerlässlich, in der Kommunikationsforschung jedoch objektiv
unentscheidbar ist.
1.63 Gegenwart und Vergangenheit. Während es außer Frage
steht, dass jedes Verhalten von früheren Erlebnissen weitgehend
mitbestimmt wird, ist die Erforschung von Ursachen im Vorleben
eines Menschen bekanntlich höchst unzuverlässig. Ashbys Hinweise auf die merkwürdigen Eigenschaften des «Gedächtnisses» als Hilfsbegriff wurden bereits erwähnt (vgl. Abschnitt 1.2). Nicht
nur die Tatsache, dass sich diese Untersuchungen hauptsächlich
auf subjektive Angaben stützen müssen, die denselben Verzerrungen unterliegen, deren Ausschaltung der erklärte Zweck der
Untersuchung ist, spielt eine Rolle - hinzu kommt, dass, was
immer Person A über ihre Vergangenheit Person B mitteilt,
untrennbar mit der gegenwärtigen Beziehung zwischen den beiden verknüpft und von ihrem Wesen her beeinflusst ist. Wenn
andererseits die Kommunikationen zwischen einem Individuum
und den ihm am nächsten stehenden Menschen direkt beobachtet
werden - wie wir es in der Schachanalogie annahmen und wie es
in der gemeinsamen psychotherapeutischen Behandlung von Ehepaaren oder Familien geschieht -, so kann man schließlich Kommunikationsstrukturen identifizieren, die diagnostisch bedeutsam sind und das Planen des bestmöglichen psychotherapeutischen
Vorgehens gestatten. Es handelt sich hierbei also um eine Suche
nach Strukturen im Jetzt und Hier statt nach symbolischen
Bedeutungen, Ursachen in der Vergangenheit oder intrapsychischen Motivationen.
1.64 Ursache und Wirkung. So gesehen, sinken die möglichen oder hypothetischen Ursachen von Verhalten zu zweitrangiger Bedeutung ab, während die zwischenmenschlichen Wirkungen allen Verhaltens zu einem Kriterium erster Wichtigkeit werden. Es lässt sich z. B. immer wieder feststellen, dass ein Symptom, das trotz intensiver Analyse seiner Genese refraktär blieb, plötzlich eine völlig neue Dimension annimmt, wenn es statt im Zusammenhang mit dem Vorleben des Patienten im Kontext seiner gegenwärtigen Ehebeziehung gesehen wird. Das Symptom kann sich dann als eine der Regeln des zwischenmenschlichen «Spiels»' der beiden Ehepartner erweisen und nicht als äußere Erscheinungsform eines ungelösten Konflikts zwischen hypothetischen innerseelischen Kräften. Im Allgemeinen sehen wir im
Symptom eine Verhaltensform, die eine nachhaltige Wirkung auf
die menschliche Umgebung des Patienten ausübt und damit weitaus mehr ist als nur ein sekundärer Krankheitsgewinn. Daher
kann in all jenen Fällen, in denen das Warum? einer Verhaltensform ungeklärt bleibt, die Frage: Wozu? trotzdem noch eine vollgültige Antwort ergeben.
1.65 Die Kreisförmigkeit der Kommunikationsabläufe
Alle Teile des Organismus bilden einen Kreis. Daher ist jeder Teil sowohl
Anfang als auch Ende. Hippokrates
Während es bei linearen, progressiven Kausalketten durchaus
sinnvoll ist, von Anfang und Ende der Kette zu sprechen, sind
diese Begriffe in Systemen mit Rückkopplung bedeutungslos. Ein
Kreis hat weder Anfang noch Ende. Das Denken in Begriffen solcher Systeme zwingt dazu, die Auffassung abzulegen, dass z. B.
Ereignis a vor Ereignis b stattfindet und daher dessen Eintreten
bedingt, denn mit derselben fehlerhaften Logik könnte man
annehmen, dass Ereignis b vor Ereignis a kommt - je nachdem,
wo man willkürlich die Kontinuität des Kreises bricht und diesen
Punkt «Anfang» oder «Ursache» nennt.
Weitere Kostenlose Bücher