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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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menschlichen Kommunikation anzutreffen. Digitales Mitteilungsmaterial ist weitaus komplexer, vielseitiger und abstrakter als analoges. Vor allem finden wir in der Analogiekommunikation nichts, das sich mit der logischen Syntax der digitalen Sprache vergleichen ließe. Dies bedeutet, dass die Analogiesprache so grundlegende Sinnelemente wie «wenn - dann», «entweder - oder» und viele andere nicht besitzt und dass ferner der Ausdruck abstrakter Begriffe in ihr so schwierig oder unmöglich ist wie in der primitiven Bilderschrift, in der jeder Begriff nur durch eine Abbildung dargestellt werden kann. Außerdem teilt die Analogiekommunikation mit den Analogierechnern das Fehlen der einfachen Negation, d.h. eines Ausdrucks für «nicht».
    Um dies näher darzulegen, sei daran erinnert, dass es Tränen des Schmerzes und Tränen der Freude gibt, dass die geballte Faust Drohung oder Selbstbeherrschung bedeuten, ein Lächeln Sympathie oder Verachtung ausdrücken, Zurückhaltung als Takt oder Gleichgültigkeit ausgelegt werden kann. Und es fragt sich, ob nicht vielleicht alle analogen Mitteilungen diese merkwürdige Doppelbedeutung haben, die uns an Freuds Gegensinn der Urworte gemahnt. Analogiekommunikationen enthalten keine Hinweise darauf, welche von zwei widersprüchlichen Bedeutungen gemeint ist, noch irgendwelche andere Hinweise, die eine klare Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlaubten.9 Diese Unterscheidungen müssen vom Kommunikationsempfänger mehr oder weniger intuitiv beigesteuert werden, während sie in digitaler Kommunikation direkt
enthalten sind. Dafür aber besitzt, wie wir noch sehen werden,
die digitale Kommunikation ihrerseits kein ausreichendes Vokabular zur klaren Definition von Beziehungen.

    Für uns Menschen, sei es in unserer Rolle als Sender oder
Empfänger von Kommunikationen, bringt diese ständige Notwendigkeit, von der einen in die andere «Sprache» zu «übersetzen», merkwürdige Probleme mit sich, die in Abschnitt 3.5 näher
behandelt werden sollen. Die Notwendigkeit des Übersetzens
besteht in beiden Richtungen. Nicht nur bringt jede Übersetzung
vom Digitalen ins Analoge einen wesentlichen Verlust von Information mit sich (vgl. Abschnitt 3.55), sondern auch der umgekehrte Prozess, d.h. jede sprachliche (also digitale) Auseinandersetzung über eine menschliche Beziehung, ist deswegen überaus
schwierig, weil sie eine Digitalisierung praktisch rein analoger
Phänomene erfordert. Und schließlich kann man sich unschwer
vorstellen, dass zusätzliche Probleme dort auftauchen werden,
wo die beiden Modalitäten sich überlagern, wie Haley dies in seinem ausgezeichneten Kapitel über Ehetherapie formuliert hat:
    Wenn ein Mann und seine Frau sich entscheiden, ihre Beziehung durch
Heirat zu legalisieren, so werfen sie damit eine Frage auf, die sie für die
Dauer ihrer Ehe beschäftigen wird: Behalten sie die Ehebeziehung bei,
weil sie es wollen oder weil sie müssen [56, S. 119]?

    Mit anderen Worten, wenn zum vorwiegend analogen Teil ihrer vorehelichen Beziehung eine Digitalisierung (der Ehekontrakt) hinzutritt, wird eine eindeutige Definition ihrer Beziehung äußerst problematisch10
    2.55 Zusammenfassend ergibt sich als viertes metakommunikatives Axiom: Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber der für eindeutige Kommunikationen erforderlichen logischen Syntax.
    2.6 Symmetrische und komplementäre Interaktionen
    2.61 Im Jahre 1935 berichtete Bateson [6] über ein Beziehungsphänomen, das er während seines Aufenthalts bei den Jatmuls auf Neuguinea beobachtet hatte, und in seinem ein Jahr später veröffentlichten Buch Naven referierte er darüber in größerem Rahmen. Er nannte dieses Phänomen Schismogenese und definierte es als einen durch die Wechselbeziehungen zwischen Individuen verursachten Differenzierungsprozess der Normen individuellen Verhaltens. Im Jahre 1939 wandte Richardson [121] diesen Begriff auf seine Analysen über Krieg und Außenpolitik an, und seit 1952 haben Bateson und andere die Nützlichkeit dieses Begriffs auf dem Gebiet der psychiatrischen Forschung dargelegt (vgl. 152, S. 7ff., ferner 136). Diesen Begriff, dessen heuristischer Wert sich also nicht auf

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