Menschliche Kommunikation
komplementärer Interaktionen oder der selbsterfüllenden Prophezeiung, die mehr ist als eine bestimmte
Interpunktion eines einmaligen Kommunikationsablaufs: Die
Wiederholung dieser Interpunktion über längere Zeitläufe und
in verschiedenen Situationen ist dabei das wesentliche Merkmal. Der Begriff der Kommunikationsstruktur bezieht sich also
auf die Wiederholung oder Redundanz von Ereignissen. Diese
Strukturen scheinen eine hierarchische Ordnung zu haben; es
gibt zweifellos Strukturen von Strukturen und vermutlich noch
höhere Stufen der Organisation, deren obere Grenze wir nicht
kennen. In diesem Kapitel wollen wir uns mit der Stufe befassen,
die unmittelbar über dem Abstraktionsgrad der bisherigen Darlegungen steht: mit der Organisation von aufeinanderfolgenden Mitteilungen, und zwar zuerst ganz allgemein und dann unter
besonderer Berücksichtigung zwischenmenschlicher Systeme.
Das vorliegende Kapitel ist daher hauptsächlich theoretisch, während die Veranschaulichung der besprochenen Phänomene durch
Beispiele im Wesentlichen dem 5. Kapitel vorbehalten bleibt.
Diese beiden Kapitel haben also dieselbe Beziehung zueinander
(erst Theorie, dann Exemplifizierung) wie das 2. und 3. Kapitel.
4.2 Interaktion als System
Interaktion kann als System betrachtet werden, sodass die allgemeine Systemtheorie anwendbar wird. Diese Theorie bildet nicht nur eine begriffliche Grundlage für biologische, wirtschaftliche oder technische Systeme: Die den verschiedensten Systemen zugrunde liegenden Eigenschaften haben nämlich so viel gemeinsam, dass sich eine allgemeinere Theorie herausgebildet hat, die diese Gemeinsamkeiten zu Isomorphien zusammenzufassen trachtet.' Einer der Pioniere auf diesem Gebiet, Ludwig von Bertalanffy, nennt diese Theorie «die Formulierung und Ableitung jener Prinzipien, die für im Allgemeinen gelten» [24, S. 131]. Von Bertalanffy hat auch die Einwände derer vorweggenommen, die Anstoß an unserem Eifer nehmen könnten, menschliche Beziehungen im Licht einer Theorie zu betrachten, deren hauptsächliche Anwendung - was nicht gleichbedeutend ist mit ihrer hauptsächlichen Anwendbarkeit - sich bekanntlich auf ausgesprochen nichtmenschliche Systeme erstreckt, und hat auf den Irrtum dieser Auffassung verwiesen:
Die von uns erwähnte Isomorphie ergibt sich aus der Tatsache, dass in
gewisser Hinsicht einander entsprechende Abstraktionen und Begriffsmodelle auf verschiedene Phänomene angewendet werden können. Systemgesetze haben nur in diesem Sinn Gültigkeit. Dies bedeutet nicht,
dass physikalische Systeme, Organismen und Gesellschaften ein und
dasselbe sind. Im Prinzip besteht hier dieselbe Situation, die sich aus der
Anwendbarkeit des Gesetzes der Schwerkraft auf Newtons Apfel, das
Planetensystem und die Gezeiten ergibt. Es bedeutet, dass ein bestimmtes theoretisches System, in diesem Fall die Mechanik, in Bezug auf einige
sehr begrenzte Aspekte Gültigkeit hat; es bedeutet aber nicht, dass in
anderer Hinsicht irgendeine besondere Ähnlichkeit zwischen Äpfeln,
Planeten und Ozeanen besteht [25, S. 75].
4.21 Bevor wir die besonderen Eigenschaften von Systemen definieren, müssen wir darauf verweisen, dass der Begriff der Zeit
(und der damit verwandte Begriff von Ablauf oder Ordnung) ein
wesentlicher Bestandteil unserer Untersuchungen sein muss.
Kommunikationsabläufe, um Franks Formulierung zu verwenden, sind «nicht anonyme Einheiten in einer Frequenzverteilung»
[43, S. 510], sondern ein Prozess, dessen innere zeitbedingte Ordnung für uns von Interesse ist. Lennard und Bernstein drücken es
folgendermaßen aus:
Zu jedem System gehört implizit eine Zeitspanne. Seiner ganzen Natur
nach besteht ein System aus einer Interaktion, und das bedeutet, dass ein
Folgeprozess von Aktion und Reaktion stattzufinden hat, bevor wir
einen Zustand des Systems oder eine Zustandsänderung beschreiben
können [92, S. 13 f.].
4.22 Definition eines Systems. Im allgemeinsten Sinn können wir
Halls und Fagens Definition folgen, wonach ein System «ein
Aggregat von Objekten und Beziehungen zwischen den Objekten und ihren Merkmalen» [58, S. 18] ist, wobei unter den Objekten die Bestandteile des Systems, unter Merkmalen die Eigenschaften der Objekte zu verstehen sind und die Beziehungen den
Zusammenhalt des Systems gewährleisten. Die Autoren erwähnen ferner, dass jedes Objekt letzthin durch seine Merkmale
gekennzeichnet ist. Wenn also die Objekte menschliche Individuen sind,
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