Menschliche Kommunikation
nicht und blieb einfacher
Professor.
Zu Beginn des Stücks kehren die beiden von einer Party bei
Marthas Vater zurück. Es ist zwei Uhr morgens, doch Martha hat
ohne Wissen von George ein Ehepaar eingeladen, das sie auf der
Party kennengelernt hatten: Es sind Nick, ein neuer Dozent im
Biologischen Institut, ungefähr 30 Jahre alt, blond und gut aussehend, und seine Frau Putzi, 26, eine kleine, fade, mausartige
Blondine. Wie sich später herausstellt, hat Nick Putzi deswegen
geheiratet, weil er annahm, sie geschwängert zu haben; ihr Zustand erwies sich jedoch als eine hysterische Schwangerschaft, die
natürlich verschwand, sobald sie verheiratet war. Möglicherweise
hatte aber auch der Reichtum von Putzis Vater bei Nicks Heiratsabsichten eine entscheidende Rolle gespielt. Ob aus diesen oder
andern Gründen unterhalten die beiden zueinander einen übertrieben förmlichen Gesprächsstil.
George und Martha haben ihre eigenen Geheimnisse. Da ist
vor allem ihre gemeinsame Fantasie, sie hätten einen Sohn, der
eben volljährig wird, und die Regel, die sich auf diesen imaginären Sohn bezieht: dass seine «Existenz» niemandem mitgeteilt
werden darf. Ferner gibt es noch ein sehr dunkles Kapitel in
Georges Leben: Es hat den Anschein, dass er in seiner Jugend
versehentlich seine Mutter erschoss und ein Jahr später, während
ihm sein Vater Fahrunterricht erteilte, die Kontrolle über den Wagen verlor und der Vater dabei getötet wurde. Es wird aber
niemals klar, ob nicht auch dies bloße Fantasien sind.
Der erste Akt heißt «Gesellschaftsspiele» und ist vor allem
eine Einführung in den bemerkenswerten Nahkampfstil des älteren Paars und in Marthas (offensichtlich routinemäßige) Versuche, Nick zu verführen. Den Höhepunkt des Aktes bildet
Marthas ätzender Angriff auf Georges beruflichen Misserfolg.
Der zweite Akt, «Walpurgisnacht», beginnt damit, dass
George und Nick allein im Zimmer sind und versuchen, einander
mit vertraulichen Enthüllungen zu überbieten. George spricht
vom Tod seiner Eltern, obwohl er dies als die traurige Lebensgeschichte einer dritten Person hinstellt, und Nick erklärt, warum
er geheiratet hat. Als die beiden Frauen ins Zimmer zurückkommen, beginnt Martha, um George zu provozieren, unverschämt
mit Nick zu tanzen, und das erste Spiel, «Der gebeutelte Hausherr», fängt an. Martha verrät ihren Gästen, wie Georges Eltern
starben, worauf George sie tätlich angreift. Er leitet dann das
nächste Spiel, «Die Gästefalle», ein und enthüllt zu Nicks äußerster Demütigung und Putzis Entsetzen das Geheimnis ihrer überstürzten Hochzeit. In dem nun folgenden Tumult fordern sich
George und Martha gegenseitig heraus und versprechen einander
weitere Abrechnung. Das nächste Spiel, «Das Hausfrauenschänderspiel», gipfelt darin, dass Martha Nick offen verführt (Putzi
liegt inzwischen betrunken auf dem Fußboden des Badezimmers), dessen Teilnahmefähigkeit sich aber durch das seit den frühen Abendstunden andauernde Trinken beeinträchtigt erweist.
Der dritte Akt, «Die Austreibung», beginnt mit Martha allein
auf der Bühne, voll Reue, aber auch Bedauern über den gescheiterten Ehebruch. George hat unterdessen das letzte Spiel, «Wie
sag ich's meinem Kinde?», vorbereitet und bringt die anderen drei
für diese Schlussrunde zusammen. Er teilt der wütenden, jedoch
machtlosen Martha mit, dass ihr «Sohn» vor wenigen Stunden
bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei. Die wahre
Bedeutung dieser «Austreibung» dämmert nun sogar Nick. Er
und Putzi gehen nach Hause, und das Stück endet in einer erschöpften, zweideutigen Stimmung, die es offenlässt, ob George
und Martha ihre Elternrolle weiterspielen und den Tod ihres einzigen Kindes bedauern werden oder ob eine grundsätzliche
Änderung ihrer Beziehungsstruktur nun möglich geworden ist.
5.2 Interaktion als System
Die Personen der Handlung, vor allem George und Martha, können als Bestandteile eines zwischenmenschlichen Systems
betrachtet werden, das mutatis mutandis die Eigenschaften allgemeiner Systeme aufweist. Es kann nicht schaden, nochmals mit
Nachdruck darauf zu verweisen, dass dieses Gedankenmodell
weder wörtlich zu nehmen noch vollgültig ist; d. h., die Personen
des Stücks -wie auch jene in realen zwischenmenschlichen Beziehungen - werden damit weder zu Automaten erniedrigt, noch ist
die Vielfältigkeit ihrer menschlichen Natur durch die Eigenart
ihrer Interaktionen auch nur
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