Menschliche Kommunikation
unvermeidlich, irgendwo zu beginnen. Wo immer aber der Teufelskreis auf diese Weise deskriptiv gesprengt wird, ergibt sich der falsche Eindruck eines Anfangspunktes, und der Beobachter des Systems begeht damit denselben Fehler wie die Beziehungspartner selbst.
Da Marthas Attacken so offen und unverkennbar sind und sie
oberflächlich so weitgehend dem Typ des emaskulierenden Mannweibs entspricht, müssen wir uns fragen, worin dann Georges
Beitrag zu ihrem Konflikt besteht. Das bedeutet nicht, dass die
Schuld von ihr auf ihn abgeschoben werden soll, denn Schuld
steht hier nicht zur Frage. Es bedeutet vielmehr, dass sowohl er
wie sie ihren (Marthas) Beitrag herausstreichen, d. h., dass aufgrund der von beiden angewandten Interpunktion sie der aktive
und er der passive Partner ist (was sie nicht daran hindert, ihrer
Aktivität bzw. Passivität verschiedene Bedeutungen zuzuschreiben; so z. B., wenn George seine Haltung für Selbstbeherrschung
und Martha sie für Schwäche hält). Dies ist aber nur eine Taktik
ihres Spiels; grundlegend bleibt die Tatsache, dass sie das Spiel
zusammen spielen.
Unsere Betonung der Kreisförmigkeit ihrer Beziehung lässt
wenig Raum für die Würdigung ihrer individuellen guten Eigenschaften: Beide sind intelligent und einfühlend, gelegentlich zeigen beide Mitleid, und beide scheinen sich hin und wieder der
erschreckenden Folgen ihres Spiels bewusst zu sein und den
Wunsch zu haben, es aufzugeben.
5.32 Rückkopplung. Die Rückkopplungsprozesse ihres Systems
stehen entweder im Dienst der Symmetrie (und sind dann positiv
und abweichungsamplifizierend) oder der Komplementarität
(negative, stabilisierende Rückkopplungen). Die Grundformel
symmetrischer Konkurrenz - «Was immer du tust, kann ich viel
besser tun» - führt unweigerlich zur Eskalation und damit zum
Verlust der Stabilität des Systems. Umgekehrt bringt eine Umstellung auf Komplementarität - durch Anerkennung des Standpunkts des anderen, Einlenken, Lachen, manchmal sogar durch
bloße Passivität - ihr System wieder ins Gleichgewicht und beide
zu einem wenigstens vorläufigen Waffenstillstand.
Diese grundsätzlichen Mechanismen haben aber ihre Grenzen. In dem Grad, in dem der Konflikt sowohl an Schärfe als auch
an Ausmaß zunimmt (von kurzen, fast verspielten Sticheleien zu
einem Gemetzel wie «Der gebeutelte Hausherr»), werden auch
immer umfassendere Stabilisierungsmechanismen notwendig,
doch Georges und Marthas Versöhnungsfähigkeit steht in kläglichem Gegensatz zu ihrer Kampfbereitschaft. Selbst Metakommunikation als möglicher Stabilisator ist ihrer Symmetrie unterworfen (vgl. Abschnitt 5.43) und nährt die Flammen, statt sie
einzudämmen. Zusätzliche Komplikationen ergeben sich ferner
dann, wenn Komplementarität im Dienst der Symmetrie zu Paradoxien führt (vgl. Abschnitt 5.41) und damit die Lösung des
Konflikts noch unmöglicher macht.
5.33 Äquifinalität. Wenn man unter einem System etwas versteht,
das sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat, sich in einem bestimmten Zustand befindet und von einem Zustand in einen anderen übergehen kann, so gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten,
seinen gegenwärtigen Zustand zu erklären. Wie wir bereits gesehen haben, besteht die eine Möglichkeit darin, den gegenwärtigen
Zustand aus den Anfangsbedingungen abzuleiten oder, genauer
gesagt, Rückschlüsse auf vermutliche Anfangsbedingungen zu
ziehen (Ätiologie, Traumata oder, ganz allgemein, die individuelle Lebensgeschichte). In einem zwischenmenschlichen System wie dem von George und Martha können die Ausgangsbedingungen entweder gemeinsame Erlebnisse ihrer Verlobungszeit bzw.
der ersten Jahre ihrer Ehe sein oder noch weiter zurück in früheren Lebenserfahrungen liegen. Beispiele für den ersten Fall wären
der zufällige Knock-out von George durch Martha, von dem sie
sagt: «Wahrscheinlich hat das auf unser ganzes Leben abgefärbt.
Sogar sicher! Auf alle Fälle erklärt es vieles» [S.38]; oder, bei
weniger oberflächlicher Betrachtung, die Umstände, die zu diesem Zwischenfall führten, also u. a. Georges Versagen, sich der
Übernahme der Präsidentschaft als würdig zu erweisen; oder der
Verlust von Marthas Unschuld und ihr Trinken, das mit «Getränken, die einer jungen Dame wohl anstehen» begann und nun bei
«Spiritus» angekommen ist [S. 18] und das George seit Jahren
erdulden muss; oder irgendwelche andere ähnliche Probleme, die
ihren Anfang in den frühen Jahren
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