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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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ihrer Ehe nahmen. Was die
individuellen Ausgangsbedingungen betrifft, so sind diese selbstverständlich noch zahlreicher. Sie sind aber auch offensichtlich
summativ und bieten keine Erklärung dafür, wie der andere Partner zu ihnen passt. So könnte man in George den latenten Homosexuellen sehen, der Martha verachtet, aus ihrer Affäre mit dem
gut aussehenden Nick (und vermutlich anderen Männern) eine
Ersatzbefriedigung gewinnt und den Affären daher Vorschub
leistet. Ebenso wäre es möglich, Martha, George und den imaginären Sohn bzw. Nick als klassisches ödipales Dreieck aufzufassen, in dem Nick nicht nur mit der Mutter zu schlafen versucht
und seine Impotenz ihm das Brechen des Tabus unmöglich macht,
sondern in dem auch der heranwachsende «Sohn» vom Vater in
derselben Weise getötet wird, in der George angeblich seinen eigenen Vater tötete [vgl. S. 59f. und S. 138]; ganz ähnlich wiederholt
die «Erschießung» Marthas mit dem Spielzeuggewehr [S. 38] die
Art und Weise, in der George seine eigene Mutter erschossen
haben soll [S. 59]. Dies sind nur einige der möglichen Erklärungen, die auf der Annahme beruhen, dass der gegenwärtige Zustand
einer Beziehung durch frühere, oft vom Partner nicht geteilte
Erlebnisse determiniert und daher erklärbar ist.

    Das Wesen und die Verwendbarkeit anamnestischer Angaben
kam bereits mehrmals zur Sprache (vgl. Abschnitt 1.2,1.63, 3.64),
und die Notwendigkeit eines über starre Kausalbeziehungen
zwischen Vergangenheit und Gegenwart hinausgehenden Begriffssystems wurde in Abschnitt 4.33 erwähnt. Es dürfte also
genügen, hier gegen die eben beschriebenen, auf der Vorgeschichte beruhenden Erklärungsversuche mit dem Hinweis Stellung zu nehmen, dass bei vielen - vielleicht den meisten - Untersuchungen menschlicher Lebensläufe die Vergangenheit nur als
Bericht in der Gegenwart zugänglich ist. Da Berichte über die
Vergangenheit aber notwendigerweise in einer gegenwärtigen
zwischenmenschlichen Situation gemacht werden, kann die Vergangenheit sehr wohl selbst zum Material für das gegenwärtige
Beziehungsspiel werden und daher unter Umständen sehr wenig
mit «reiner» Information zu tun haben. Die Frage, ob diese Information wahr, tendenziös oder falsch ist, hat für das Verständnis
der gegenwärtigen Interaktion viel geringere Bedeutung als die
Frage, wie dieses Material verwendet wird und wie es die Beziehung beeinflusst. Was wir beabsichtigen, ist, das Ausmaß zu
untersuchen, in dem die Systemparameter - die Regeln und die
Grenzen, die sich aus der Beobachtung der Interaktion ableiten
lassen - für die Kontinuität bzw. die Veränderungen des Systems
verantwortlich sind; d. h., inwiefern eine Gesetzmäßigkeit, die
nichts mit der Vergangenheit zu tun hat, als Erklärung des Systems dienen kann. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine ausschließliche Wahl zwischen völliger Abhängigkeit und völliger
Unabhängigkeit von den Anfangsbedingungen gemacht werden
muss. Unsere Aufgabe, vor allem als Psychotherapeuten, ist
weniger schwierig; sie liegt nicht in der Beantwortung der Frage,
wann und wie eine bestimmte Beziehungsstruktur entstand, sondern ob und wie sie jetzt beeinflusst werden kann.

    5.4 Das System George-Martha
    Die Beschreibung des Systems George-Martha erfordert zunächst
eine Skizzierung ihrer Regeln und ihrer Taktiken, aus denen sich
dann spezifischere Merkmale ihrer Interaktion ableiten lassen.
    5.41 Georges und Marthas «Spiel». Die hervorstechendste Eigenschaft ihrer Interaktion sind symmetrische Eskalationen, die
dadurch entstehen, dass beide versuchen, sich vom andern nicht
überflügeln zu lassen bzw. ihn auszustechen - je nachdem, wessen
Interpunktion man gelten lassen will Dieses Ringen setzt gleich zu
Anfang ein, als George und Martha mehrere rasche symmetrische
Eskalationen durchlaufen, fast als handle es sich um Proben oder,
wie George sich ausdrückt, «Martha und ich ... wir üben ... weiter
nichts» [S. 24]. Der Inhalt dieser Übungen ist in jedem einzelnen
Fall grundverschieden, die Struktur aber identisch, und nach jeder
Übung wird vorübergehende Stabilisierung durch gemeinsames
Lachen erreicht. So sagt Martha z. B.: «Du ... Du kotzt mich an.»
George überlegt sich das mit gespielter Sachlichkeit:
    Das war nicht sehr nett, Martha.
    Martha: Das war nicht ... was?
    George: ... nicht sehr nett [S. 12].
    Martha reagiert weniger elegant:
    Dein Zorn imponiert mir! Ich glaub, ich liebe ihn am

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