Menschliche Kommunikation
allem, wenn ihre Metaphysik in Antimetaphysik besteht. Die
Gedanken Rubaschows, des Helden in Koestlers Roman Sonnenfinsternis, sind in dieser Beziehung beispielhaft:
Die Partei leugnete den freien Willen des Individuums - und forderte
gleichzeitig seine freiwillige Hingabe. Sie leugnete seine Fähigkeit, zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen - und forderte gleichzeitig, dass es
ständig die rechte Wahl treffe. Sie leugnete sein Vermögen, zwischen Gut
und Bös zu unterscheiden - und sprach gleichzeitig in pathetischen
Tönen von Schuld und Verrat. Das Individuum stand im Zeichen der
ökonomischen Fatalität, ein Rad im Uhrwerk, das, vor Urzeiten einmal
in Gang gesetzt, unaufhaltsam und unbeeinflussbar abschnurrte - und
die Partei verlangte, dass das Rad gegen das Uhrwerk aufstehe und seinen
Ablauf ändere. Irgendwo musste ein Fehler in dieser Rechnung stecken;
die Gleichung ging nicht auf [82, S. 229].
Es liegt im Wesen der Paradoxien, dass auf ihnen beruhende
«Gleichungen» nicht aufgehen. Wo Paradoxien menschliche Beziehungen vergiften, entsteht Krankheit. Rubaschow kennt die
Symptome, aber sucht vergeblich nach dem Heilmittel:
Unsere Prinzipien waren alle richtig, aber unsere Resultate waren alle
falsch. Das ist ein krankes Jahrhundert. Wir erkannten die Krankheit und
ihre Struktur mit mikroskopischer Schärfe, aber wo wir das Messer
ansetzten, um zu heilen, entstand ein neues Geschwür. Unser Wollen war
hart und rein, die Menschen sollten uns lieben. Aber sie hassen uns.
Warum sind wir hassenswert?
Wir brachten euch die Wahrheit, und sie klang in unserem Mund wie die
Lüge. Wir bringen euch die Freiheit, und sie sieht in unseren Händen wie
die Peitsche aus. Wir bringen euch das lebendige Leben, und wo unser
Wort ertönt, da verdorren die Bäume, und es raschelt wie welkes Laub.
Wir künden euch die wunderbare Zukunft, und unsere Verkündigung
klingt wie ein fades Gestotter und rohes Gebell [82, S. 55 £].
Beispiel 5: Vergleichen wir dies mit dem autobiografischen Bericht
eines Schizophrenen [15], so sehen wir, dass sein Dilemma im
Wesentlichen dem Rubaschows gleicht. Der Patient wird von seinen «Stimmen» in eine unhaltbare Situation gebracht und dann
der Täuschung oder Widersetzlichkeit bezichtigt, wenn er außerstande ist, den paradoxen Aufforderungen der «Stimmen» nachzukommen. Das Außergewöhnliche an diesem Bericht ist, dass er
vor fast 130 Jahren, also lange vor der Formulierung moderner
psychiatrischer Theorien, verfasst wurde:
Ich wurde von Befehlen des - wie ich annahm - Heiligen Geistes gequält,
andere Dinge zu sagen, und sobald ich es versuchte, wurde ich furchtbar
dafür gerügt, dass ich in meiner eigenen Stimme und nicht in einer mir
gegebenen zu sprechen begann. Diese widersprüchlichen Befehle waren,
damals wie auch jetzt noch, der Grund für die Verwirrtheit meines
Benehmens, und diese Vorstellungen wurden zum Hauptgrund meiner
schließlich völligen Umnachtung. Denn mir wurde zu sprechen befohlen
unter Androhung schrecklicher Strafen und der Gefahr, den Zorn des
Heiligen Geistes herauszufordern und die Schuld schnödester Undankbarkeit auf mich zu laden; aber sobald ich zu sprechen ansetzte, wurde
ich gleichzeitig hart und demütigend dafür getadelt, dass ich nicht die
Formulierung verwendete, die ein Geist mir eingegeben hatte; und wenn
ich es wiederum versuchte, machte ich es trotzdem falsch, und wenn ich
mich innerlich damit entschuldigte, dass ich ja nicht wusste, was ich tun
sollte, wurde ich der Lüge und Täuschung bezichtigt und der Unwilligkeit, das zu tun, was mir befohlen wurde. Dann verlor ich meine Geduld und begann, das Gewünschte wahllos herauszusagen, entschlossen, damit zu zeigen, dass mich nicht Furcht oder mangelnder Wille daran
hinderten. Doch sobald ich dies tat, spürte ich beim Sprechen, wie schon
zuvor, den Schmerz in den Nerven meines Gaumens und meiner Kehle,
was mich überzeugte, dass ich mich nicht nur gegen Gott auflehnte, sondern auch gegen die Natur; und ich fiel in eine qualvolle Stimmung von
Hoffnungslosigkeit und Undankbarkeit zurück [15, S. 32£].
Beispiel 6: Als im Jahre 1616 die japanischen Obrigkeiten zur Verfolgung der zum Christentum Übergetretenen ansetzten, ließen
sie ihren Opfern die Wahl zwischen einem Todesurteil und einer
Abschwörung, die ebenso umständlich wie paradox war. Die
Formel dieser Abschwörung findet sich bei Sansom in einer Studie über die Wechselwirkung zwischen
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