Menschliche Kommunikation
aufgezwungen
wurde und noch dazu in einer Weise, die es ihm ermöglichte, sich
aus der Schlinge zu ziehen. Die Nazis hatten Freud eine Ausreiseerlaubnis aus Österreich unter der Bedingung versprochen,
dass er eine Erklärung unterzeichne, wonach er «von den deutschen Behörden und im Besonderen von der Gestapo mit der
meinem wissenschaftlichen Ruf gebührenden Achtung und
Rücksicht behandelt wurde ...» [78, Band III, S. 268]. Mag dies
auch in Freuds persönlichem Fall wahr gewesen sein, so lief das
Dokument im Kontext der brutalen Verfolgung der Wiener Juden
trotzdem auf eine schamlose Vortäuschung von Fairness seitens
der Behörden hinaus, die offensichtlich versuchten, aus Freuds
internationaler Berühmtheit Kapital für ihre Nazipropaganda zu
schlagen. Die Gestapo hatte also ein Interesse an Freuds Unterschrift, und Freud muss sich vor die Wahl gestellt gesehen haben,
die Unterschrift zu leisten und damit dem Feind unter Verlust
seiner persönlichen Integrität zu helfen oder nicht zu unterschreiben und die Folgen dieser Weigerung auf sich zu nehmen. Nach
den Begriffen der Experimentalpsychologie befand er sich also in
einem Aversions-Aversions-Konflikt (vgl. Abschnitt 6.434).
Freud brachte es jedoch fertig, den Spieß umzudrehen und die
Nazis in ihrer eigenen Falle zu fangen. Als der Gestapobeamte
das Dokument zur Unterschrift brachte, fragte Freud, ob er noch
einen Satz hinzufügen dürfe. Offensichtlich im Vollgefühl seiner
Machtposition stimmte der Beamte zu, und Freud schrieb: «Ich
kann die Gestapo jedermann aufs Beste empfehlen.» Damit waren
die Rollen vertauscht; denn nachdem die Gestapo einmal Freud
zum Lob gezwungen hatte, konnte sie nicht gut weiteres «spontanes» Lob ablehnen. Für die Weltöffentlichkeit aber, die in
zunehmendem Maß gewahr wurde, was in jenen Tagen in Wien
vorging, konnte dieses «Lob» nur einen vernichtenden Sarkasmus bedeuten, der die Erklärung Freuds für Propagandazwecke
unbrauchbar machte. Es war Freud also gelungen, die Erklärung
durch eine Aussage zu entwerten, die als Teil der Erklärung deren
Inhalt zwar zu bekräftigen schien, gleichzeitig aber durch ihren offensichtlichen Sarkasmus den Sinn der gesamten Erklärung
negierte.
Beispiel 8: In Les Plaisirs et les Jours gibt Proust ein ausgezeichnetes Beispiel für eine pragmatische Paradoxie, wie sie sich
aus dem Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Verhaltensnormen und individuellen Gefühlen ergeben kann. Alexis ist dreizehn Jahre alt und auf dem Weg zu seinem Onkel, der an einer
unheilbaren Krankheit leidet. Dabei kommt es zu folgendem
Gespräch zwischen ihm und seinem Hauslehrer:
Als er zu sprechen ansetzte, errötete er tief:
«Monsieur Legrand, ist es besser, wenn mein Onkel glaubt, dass ich weiß,
dass er sterben muss, oder nicht?
«Er soll es nicht glauben, Alexis.» «Aber wenn er mit mir darüber
spricht?» «Er wird mit Ihnen nicht darüber sprechen.»
«Er wird mit mir nicht darüber sprechen?», sagte Alexis überrascht, denn
das war die einzige Möglichkeit, die er nicht vorausgesehen hatte: jedes
Mal, wenn er begann, sich den Besuch bei seinem Onkel vorzustellen,
hörte er ihn mit der Milde eines Priesters vom Tode sprechen.
«Aber wenn er doch darüber spricht?»
«Dann sagen Sie, dass er sich täuscht.»
«Und wenn ich weine?»
«Sie haben heute schon zuviel geweint, Sie werden bei ihm nicht
weinen.»
«Ich werde nicht weinen!», rief Alexis verzweifelt, «aber dann wird er
denken, dass ich keinen Kummer fühle, dass ich ihn nicht liebe ... mein
kleiner Onkel!»
Und erbrach in Tränen aus. [114, S. 19f.]
Wenn Alexis aus Besorgnis um seinen Onkel seine Besorgnis verheimlicht, dann muss er befürchten, unbesorgt und daher lieblos
zu erscheinen.
Beispiel 9: Ein junger Mann fühlte, dass seine Eltern das Mädchen ablehnten, das er zu heiraten beabsichtigte. Sein Vater war
ein wohlhabender, zielbewusster, gut aussehender Mann, der
seine Frau und seine drei Kinder vollkommen beherrschte. Die
Mutter, eine stille, zurückgezogene Frau, lebte in der sekundären
Komplementärposition dahin und war mehrmals «zur Erholung» in einem Sanatorium gewesen. Eines Tages ließ der Vater den j ungen Mann in sein Arbeitszimmer kommen - eine Maßnahme, die
außergewöhnlichen Anlässen vorbehalten war - und sagte ihm:
«Louis, ich möchte dir etwas sagen. Wir Alvarados heiraten
immer Frauen, die besser sind als wir.» Da der Vater auch in Ton
und Miene
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