Menschliche Kommunikation
beiden Sätze zu einem zusammenfasst (Paris ist
eine Großstadt und zweisilbig), seiner Sekretärin diktiert und ihr
mit Entlassung droht, wenn sie diesen Satz nicht fehlerfrei niederschreiben kann oder will. Selbstverständlich kann sie es nicht -
genauso wenig, wie wir es eben konnten. Und was wären die
pragmatischen Wirkungen dieser Kommunikation? Lassen wir
uns nicht durch die Absurdität dieses Beispiels von seiner theoretischen Bedeutung ablenken. Es besteht kein Zweifel, dass Kommunikationen dieser Art eine unhaltbare Situation schaffen. Da
die Mitteilung paradox ist, muss jede Reaktion auf sie in dem von
ihr gesetzten Rahmen ebenfalls paradox sein. Es ist einfach nicht
möglich, sich in einem widersprüchlichen oder unlogischen Kontext konsequent und logisch zu verhalten. Solange die Sekretärin
in dem ihr vom Chef aufgezwungenen Kontext verbleibt, hat sie
nur zwei Möglichkeiten: etwas niederzuschreiben und dabei
unvermeidlich einen Verstoß gegen die Syntax zu begehen oder
sich zu weigern, etwas aufzuschreiben. Im ersten Fall kann der
Chef ihr Unfähigkeit, im zweiten Widersetzlichkeit vorwerfen,
was den schon mehrfach erwähnten typischen Anschuldigungen
von Verrücktheit oder Böswilligkeit nicht allzu unähnlich ist. Im
einen wie im anderen Fall wird die Sekretärin vermutlich emotional reagieren, z. B. mit Weinen oder Zorn.
Gegen all dies könnte man vielleicht einwenden, dass sich
kein normaler Mensch so verhalten würde wie dieser imaginäre
Chef. Doch das ist ein non sequitur. Denn zumindest theoretisch - und sehr wahrscheinlich auch in den Augen der Sekretärin - bestehen zwei mögliche Gründe für dieses Verhalten: Entweder sucht der Chef einen Vorwand für ihre Entlassung und
benützt dafür einen abscheulichen Trick, oder er ist nicht normal.
Man beachte, dass Böswilligkeit oder Verrücktheit wieder als einzig mögliche Erklärung erscheinen.
Eine völlig andere Situation ergibt sich, wenn die Sekretärin
nicht innerhalb der durch das Diktat gesetzten Grenzen bleibt,
sondern zur Situation selbst Stellung nimmt; d. h., wenn sie nicht auf den Inhalt der Kommunikation ihres Chefs reagiert, sondern über die Kommunikation kommuniziert. Damit tritt sie aus den von ihm gesetzten Kontext heraus und ist nicht mehr im Dilemma gefangen. Im Allgemeinen ist dieser Schritt aber nicht einfach. Vor allem ist es - wie schon wiederholt bemerkt - schwierig, über Kommunikation zu kommunizieren. Die Sekretärin müsste erklären, warum die Situation unhaltbar ist und in welche Zwangslage sie dadurch gerät, und das allein wäre keine geringe Leistung. Der andere Grund, weshalb Metakommunikation keine einfache Lösung darstellt, ist, dass es dem Chef ein Leichtes wäre, ihre Reaktion auf der Metastufe (det Beziehungsstufe) unter Berufung auf seine Autorität nicht nur nicht zu gestatten, sondern sie als weiteren Beweis für ihre Unfähigkeit oder Unverschämtheit zu betrachten.6
Beispiel 2: Paradoxe Selbstdefinitionen vom Lügnertyp sind
relativ häufig, wenigstens in unserer klinischen Praxis. Ihre pragmatische Wirkung wird augenfälliger, wenn wir bedenken, dass
diese Selbstdefinitionen nicht nur einen logisch sinnlosen Inhalt
übermitteln, sondern auch die Beziehung des Senders zum Empfänger definieren. Die Beziehung der Teilnehmer in einer solchen
Kommunikationsstruktur ist nämlich viel weniger durch die
Absurdität des Inhaltsaspekts beeinträchtigt als dadurch, dass die Beziehungsdefinition weder vermeidbar noch klar verständlich
ist. Die folgenden Variationen dieses Themas sind fast wahllos
kürzlich gehaltenen Interviews entnommen:
a) Interviewer: Was sind Ihrer Meinung nach, Herr X, die Hauptprobleme in Ihrer Familie?
Herr X.: Mein Beitrag zu unseren Problemen ist, dass ich ein Gewohnheitslügner bin - andere Leute nennen es vielleicht ... hm, oh Unwahrheit oder Übertreibung oder Aufschneiden -, aber es ist wirklich
Lügen ...
Wir glauben, annehmen zu dürfen, dass dieser Mann die Lügnerparadoxie nicht kannte und uns somit nicht absichtlich zu foppen
versuchte. Das Resultat blieb aber dasselbe, denn was kann man
angesichts einer so paradoxen Beziehungsdefinition tun?
b) Eine Familie, bestehend aus den Eltern und ihrem ziemlich
fettleibigen zwanzigjährigen Sohn, der angeblich schwachsinnig
ist, interpretieren gemeinsam das englische Sprichwort: «A rolling stone gathers no moss» («Auf einem rollenden Stein wächst
kein Moos») als Teil eines
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