Menschliche Kommunikation
durchaus ernsthaft schien und außerdem keinen Zweifel darüber ließ, dass damit alles zum Thema gesagt war, fand sich
der Sohn vor die Notwendigkeit gestellt, die Bedeutung dieser
Äußerung selbst zu ergründen. Wie immer er sie auch zu deuten
versuchte, stets stieß er auf einen verwirrenden Widerspruch, der
ihn schließlich in seinem Entschluss wankend machte, das Mädchen zu heiraten.
Die Äußerung des Vaters lässt sich in folgender Weise amplifizieren: Wir Alvarados sind überlegene Menschen, u. a. heiraten
wir nach oben.
Diese letztere Bemerkung steht aber nicht nur in krassem
Widerspruch zu den Tatsachen, die der Sohn tagtäglich feststellen
kann, sondern bedeutet unabhängig davon auch, dass die Alvarado-Männer ihren Frauen unterlegen sind. Das wiederum
negiert die Behauptung, die damit bekräftigt werden sollte. Wenn
also der Anspruch des Vaters auf allgemeine Überlegenheit der
Alvarados, einschließlich der Definition der Gattin und ihrer
selbst, wahr ist, dann ist er nicht wahr.
Beispiel 10: Im Verlauf der psychotherapeutischen Behandlung eines jungen Mannes regte der Psychiater an, die in einer
anderen Stadt wohnenden Eltern des Patienten sollten wenigstens
zu einer gemeinsamen Sitzung kommen, damit gewisse Familienprobleme zusammen mit ihnen erörtert werden könnten. Während dieser Sitzung wurde es bald klar, dass die Eltern meist nur
dann übereinstimmten, wenn sich das Gespräch um die Schwierigkeiten ihres Sohns drehte, dass sie aber sonst in vieler Hinsicht
uneins waren. Es stellte sich ferner heraus, dass der Vater während
der Kindheit des Sohns infolge einer Depression fünf Jahre
arbeitsunfähig gewesen war und dass die Familie während dieser
Zeit vom Vermögen der Gattin gelebt hatte. Im weiteren Verlauf des Interviews tadelte der Vater seinen Sohn scharf, weil dieser
nicht mehr Verantwortlichkeit an den Tag legte und nicht unabhängiger und erfolgreicher war. Dies veranlaßte den Therapeuten
zu der vorsichtigen Bemerkung, dass zwischen Vater und Sohn
vielleicht mehr Ähnlichkeit bestehe, als es den beiden bewusst sei.
Während diese Andeutung bei den beiden Männern auf taube
Ohren zu stoßen schien, nahm die Mutter sofort dazu Stellung
und griff den Psychiater als Störenfried an. Dann blickte sie
mit Liebe und Bewunderung auf ihren Sohn und sagte: «Was wir
mehr als irgendetwas anderes wünschen, ist, dass Georg eine so
glückliche Ehe wie wir haben möge.» So ausgedrückt, ist die einzig mögliche Schlussfolgerung die, dass eine glückliche Ehe
unglücklich ist und, nach derselben Logik, eine unglückliche Ehe
glücklich.
Nach dieser Sitzung war der junge Mann deprimiert, und in
seinem nächsten Interview versuchte er vergeblich, dieser Stimmung auf die Spur zu kommen. Als der Therapeut ihn an die
Paradoxie der mütterlichen Äußerung erinnerte, griff er diese
sofort auf. Er bemerkte, dass seine Mutter ihm «solche Sachen»
wahrscheinlich seit Jahr und Tag gesagt habe, dass es ihm aber
bisher nie möglich gewesen sei, sie so klar zu erkennen wie jetzt.
Gleichzeitig erinnerte er sich an häufige Träume, in denen er eine
schwere Last trug, sich gegen etwas wehrte oder von etwas hinuntergezogen wurde, ohne aber je dieses Etwas erkennen zu
können.
Beispiel 11: Die Mutter einer Schizophrenen benachrichtigte
den behandelnden Psychiater telefonisch, dass der Zustand ihrer
Tochter sich wieder verschlechtere. Damit meinte die Mutter
gewöhnlich, dass sich das Mädchen unabhängiger benahm und
ihr widersprach. So z. B. hatte die Tochter sich kürzlich eine
eigene Wohnung genommen - ein Schritt, mit dem die Mutter
sich noch nicht abgefunden hatte. Als der Psychiater sich erkundigte, worin das angeblich gestörte Verhalten der Tochter diesmal
bestand, antwortete die Mutter: «Nun, heute z. B. wollte ich, dass
sie zum Abendessen zu uns komme, und wir hatten eine lange Debatte, weil sie nicht kommen wollte.» Auf die Frage, ob und
wie dieser Zank schließlich beigelegt worden sei, erwiderte die
Mutter ärgerlich: «Ich überredete sie schließlich, doch zu kommen, denn ich weiß ja, dass sie kommen will, und außerdem hat
sie nicht wirklich den Mut, nein zu sagen.»
So wie die Mutter die Dinge sieht, bedeutet ein «Nein» der Tochter, dass diese in Wirklichkeit doch kommen möchte, denn die Mutter weiß besser als die Tochter, was in deren wirrem Kopf vorgeht. Was aber, wenn die Tochter ja sagt? Ein «Ja» bedeutet nicht «ja», sondern
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