Menschliche Kommunikation
nur, dass die Tochter nicht nein sagen kann. Mutter und Tochter sind damit gleicherweise in dieser paradoxen Kodifizierung ihrer Kommunikationen gefangen.
Beispiel 12: Eine charmante, haarsträubende Sammlung paradoxer mütterlicher Kommunikationen wurde kürzlich von Greenburg veröffentlicht. Hier ist eine seiner Perlen:
Schenken Sie Ihrem Sohn Marvin zwei Sporthemden: Wenn er zum ersten Mal eines der beiden trägt, blicken Sie ihn traurig an und sagen Sie: «Das andere gefällt dir nicht?» [54, S. 16]
6.43 Die Doppelbindungstheorie10. Die Wirkungen von Paradoxien in menschlicher Interaktion wurden zum ersten Mal 1956 von Bateson, Jackson, Haley und Weakland unter dem Titel «Toward a Theory of Schizophrenia» [18] beschrieben. Diese Forschungsgruppe ging an die Phänomene der schizophrenen Kommunikationen von einem Gesichtspunkt aus heran, der sich radikal von jenen Hypothesen unterscheidet, die in der Schizophrenie primär intrapsychische Störungen (z. B. eine Denkstörung, Ich-Schwäche, Überschwemmung des Bewusstseins durch Primärprozesse oder dergleichen) sehen, die dann sekundär die zwischenmenschlichen Beziehungen des Patienten beeinflussen. Bateson und seine Mitarbeiter fragten sich dagegen, durch welche Beziehungsstrukturen jene Verhaltensformen bedingt werden könnten, auf die sich die Diagnose einer Schizophrenie stützt. Der Schizophrene, so postulierten sie, «muss in einer Welt leben, in der die Ereignisabläufe solcher Art sind, dass sein ungewöhnliches Kommunikationsverhalten in gewissem Sinn angebracht ist» [18, S. 253]. Dieses Postulat ermöglichte es ihnen nicht nur, rein begrifflich den zu engen Rahmen der schizophrenen Endogenese" zu sprengen, sondern auch bestimmte Strukturen zwischenmenschlicher Wechselbeziehungen zu identifizieren, für die sie den Ausdruck double bind prägten. Diese Charakteristika sind auch der gemeinsame Nenner des sonst eher verwirrenden Potpourris von Beispielen im letzten Abschnitt.
6.431 In etwas abgeänderter und erweiterter Form können die
Bestandteile einer Doppelbindung wie folgt beschrieben werden:
1. Zwei oder mehrere Personen stehen zueinander in einer
engen Beziehung, die für einen oder auch alle von ihnen einen
hohen Grad von physischer und/oder psychischer Lebenswichtigkeit hat. Derartige Situationen ergeben sich u. a. in Familien (besonders zwischen Eltern und Kindern), in Krankheit, Gefangenschaft, materieller Abhängigkeit, Freundschaft, Liebe,
Treue zu einem Glauben, einer Sache oder einer Ideologie, in
durch gesellschaftliche Normen oder Traditionen bedingten
Lagen, der psychotherapeutischen Situation usw.
2. In diesem Kontext wird eine Mitteilung gegeben, die a) etwas aussagt, b) etwas über ihre eigene Aussage aussagt und c) so zusammengesetzt ist, dass diese beiden Aussagen einander negieren bzw. unvereinbar sind. Wenn also die Mitteilung eine Handlungsaufforderung ist, so wird sie durch Befolgung missachtet und durch Missachtung befolgt; handelt es sich um eine Ich- oder Du-Definition, so ist die damit definierte Person es nur, wenn sie es nicht ist, und ist es nicht, wenn sie es ist. Die Bedeutung der Mitteilung ist also unentscheidbar im Sinne von Abschnitt 3.333.
3. Der Empfänger dieser Mitteilung kann der durch sie hergestellten Beziehungsstruktur nicht dadurch entgehen, dass er entweder über sie metakommuniziert (sie kommentiert) oder sich aus der Beziehung zurückzieht. Obwohl also die Mitteilung logisch sinnlos ist, ist sie eine pragmatische Realität: Man kann nicht nicht auf sie reagieren, andererseits aber kann man sich ihr gegenüber auch nicht in einer angebrachten (nichtparadoxen) Weise verhalten, denn die Mitteilung selbst ist paradox. Diese Situation kann für den Empfänger oft noch weiter durch das mehr oder weniger ausgesprochene Verbot erschwert sein, des Widerspruchs oder der tatsächlichen Zusammenhänge gewahr zu werden. Eine in einer Doppelbindung gefangene Person läuft also Gefahr, für richtige Wahrnehmungen bestraft und darüber hinaus als böswillig oder verrückt bezeichnet zu werden, wenn sie es wagen sollte, zu behaupten, dass zwischen ihren tatsächlichen Wahrnehmungen und dem, was sie wahrnehmen «sollte», ein wesentlicher Unterschied besteht.12
Dies ist das Wesen der Doppelbindung.
6.432 Seit seiner Formulierung hat der Begriff der Doppelbindung zunehmende Beachtung in der Psychiatrie13 und den Verhaltenswissenschaften im Allgemeinen [151] gefunden und drang sogar in den Jargon der
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