Menschliche Kommunikation
nicht gleichzeitig auch Nicht-A sein
kann, dass diese Form von Kontradiktion zu offensichtlich
falsch ist, um ernst genommen zu werden. Selbst die Widersprüche des täglichen Lebens sind nicht pathogen. Wer vor zwei
sich gegenseitig ausschließenden Alternativen steht, muss sich
entscheiden, wobei sich die getroffene Entscheidung sehr rasch
als falsch erweisen oder man zu lange zögern und deshalb scheitern kann. Dieses Dilemma mag so nebensächlich sein wie unsere tagtäglichen kleinen Verzichte, oder so schrecklich wie die Zwangslage eines Menschen, der, vom Feuer im Obergeschoss
eines Hauses überrascht, nur die Wahl zwischen Verbrennen
und einem Todessprung aus dem Fenster hat. In den klassischen
Experimenten, in denen ein Organismus einer Konfliktsituation
ausgesetzt wird (Appetenz-Aversion, Appetenz-Appetenz oder
Aversion-Aversion), liegt die Wurzel des Konflikts im Widerspruch zwischen den gebotenen oder aufgezwungenen Alternativen. Die verhaltensmäßigen Wirkungen dieser Experimente
können sich von Unentschiedenheit oder Fehlentscheidungen
bis zum Verhungern als Folge der Vermeidung weiterer elektrischer Schläge erstrecken, führen aber nie zu der spezifischen
Pathologie, die dann auftritt, wenn der Konflikt wirklich paradox ist.
Diese Pathologie lässt sich in den berühmten Pawlow-Experimenten beobachten, in denen einem Hund zuerst der Unterschied zwischen einem Kreis und einer Ellipse gelehrt und dann
die Unterscheidung zunehmend schwieriger und schließlich
unmöglich gemacht wird, indem man die Ellipse langsam so verändert, dass sie sich mehr und mehr der Kreisform nähert. Unserer Ansicht nach enthält diese Versuchsanordnung sämtliche
Bestandteile einer Doppelbindung, und für ihre verhaltensmäßigen Wirkungen prägte Pawlow bekanntlich den Ausdruck
«Experimentalneurose». Das Wesen dieser Situation besteht
darin, dass der Versuchsleiter dem Versuchstier zuerst die lebenswichtige Notwendigkeit richtiger Unterscheidung aufzwingt
und ihm dann innerhalb dieses Rahmens die Unterscheidung
unmöglich macht. Der Hund ist damit sozusagen in eine Welt
geworfen, in der sein Überleben von der Befolgung eines Gesetzes abhängt, das sich selbst verletzt; damit enthüllt sich das Gorgonenhaupt der Paradoxie. In diesem Stadium des Experiments
beginnt das Versuchstier, typische Verhaltensstörungen zu zeigen; es kann in ein Koma verfallen oder bösartig werden und
weist zusätzlich alle physischen Begleiterscheinungen großer
Angst auf. Bei Versuchstieren, die nicht zuerst auf Diskrimination abgerichtet werden, tritt dieses Verhalten nicht ein.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der wichtigste Unterschied
zwischen einer widersprüchlichen und einer paradoxen Handlungsvorschrift besteht darin, dass man im Fall der ersteren eine
Alternative wählen muss und damit eine andere verliert oder erleidet. Dieses Ergebnis kann höchst unerfreulich sein - jede Rose hat
Dornen, und selbst das kleinere Übel ist doch immer noch ein
Übel. Im Fall der widersprüchlichen Handlungsvorschrift bleibt
also die Wahl logisch möglich. Die paradoxe Handlungsvorschrift
dagegen macht die Wahl selbst unmöglich: Weder die eine noch die
andere Alternative steht tatsächlich offen, und ein selbstverewigender, oszillierender Prozess wird in Gang gesetzt.
Zusätzlich möchten wir auf die interessante Tatsache verweisen, dass keineswegs nur Primaten oder Säugetiere schlechthin
den paralysierenden Wirkungen pragmatischer Paradoxien unterliegen; auch Organismen mit verhältnismäßig rudimentärem
Hirn und Nervensystem sind für sie anfällig. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um ein grundlegendes Existenzproblem handelt.
6.435 Um jedoch zur menschlichen Kommunikation zurückzukehren, wollen wir uns kurz den Wirkungen zuwenden, die die
Doppelbindung auf das Verhalten hat. Wie in Abschnitt 4.42
erwähnt, verringert das Auftreten jeder einzelnen Mitteilung die
Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen. Im Fall der Doppelbindungen ist diese zunehmende Verhaltenseinengung besonders
drastisch, und nur ganz wenige Reaktionen sind pragmatisch
möglich. Die folgende Aufzählung kann keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erheben, umfasst aber die wichtigsten Reaktionen:
Angesichts der unhaltbaren Absurdität jeder Doppelbindung
wird der Betroffene zu der Annahme neigen, dass er bedeutsame
Anhaltspunkte übersehen muss, die entweder in der Situation
selbst enthalten sind oder ihm von
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