Menschliche Kommunikation
Politiker ein [96]. Die Frage seiner pathogenen Wirkung wurde rasch zu dem am häufigsten missverstandenen Aspekt der Theorie. Bevor wir mit unseren Ausführungen fortfahren können, müssen wir uns daher diesem Problem zuwenden.
Es besteht kein Zweifel, dass die Welt, in der wir leben, alles
andere als logisch ist und dass die meisten von uns ihre Normalität bewahren können, obwohl wir alle doppelbindenden Situationen ausgesetzt sind. Doch diese Situationen sind vereinzelt und
vorübergehend, wenngleich sie zur Zeit des Erlebens durchaus
traumatischer Natur sein können. Eine ganz andere Situation
kommt aber dann zustande, wenn Doppelbindungen zu einer
chronischen Erscheinung und damit langsam zu einer gewohnheitsmäßigen Erwartung werden. Dies gilt natürlich vor allem für
die Kindheit, da alle Kinder zu dem Schluss neigen, dass ihre eigenen Erlebnisse auch die aller andern sein und daher sozusagen
universale Gültigkeit haben müssen. Hier handelt es sich also
nicht um vereinzelte Traumata; wir haben es vielmehr mit einer
ausgeprägten Beziehungsstruktur zu tun. Die wechselseitigen
Eigenschaften dieser Struktur werden etwas deutlicher, wenn wir uns vor Augen halten, dass dem Wesen der menschlichen Kommunikation nach eine Doppelbindung nicht ein linearer Ablauf von Ursache und Wirkung sein kann. Wenn, wie wir in Abschnitt 6.431 gesehen haben, eine Doppelbindung paradoxes Verhalten bedingt, so wirkt dieses Verhalten selbst als Doppelbindung auf den Doppelbinder zurück.14 Sobald sich diese Wechselwirkung einmal ausgebildet hat, ist es praktisch sinnlos, zu fragen, wann, wie und warum sie zustande kam, da pathologische Systeme - wie im 5. Kapitel veranschaulicht wurde und im 7. Kapitel begründet werden soll - eine eigenartige selbstverewigende Eigenschaft haben. Wir sind daher der Ansicht, dass die Frage der pathogenen Folgen von Doppelbindungen nicht in den Begriffen von Ursache und Wirkung beantwortet werden kann, die für das medizinische Krankheitsmodell - z. B. die Beziehung zwischen Infektion und Entzündung - gelten. Die Doppelbindung verursacht nicht Schizophrenie. Man kann lediglich sagen, dass dort, wo Doppelbindungen zur vorherrschenden Beziehungsstruktur werden und wo sich die diagnostische Aufmerksamkeit auf den sichtlich am meisten gestörten Partner beschränkt,15 das Verhal ten dieser Person den diagnostischen Kriterien des klinischen Bildes von Schizophrenie entspricht. Nur in diesem Sinn kann die
Doppelbindung ursächlich und daher pathogen genannt werden.
Diese Unterscheidung mag talmudisch erscheinen -wir halten sie
jedoch für unerlässlich, um den Schritt von der Vorstellung, Schizophrenie sei die mysteriöse Geisteskrankheit eines Individuums,
zu der Auffassung der Schizophrenie als einer spezifischen Kommunikationsstruktur zu machen.
6.433 Damit können wir zu den schon erwähnten drei Bestandteilen einer Doppelbindung (vgl. Abschnitt 6.431) zwei weitere
hinzufügen, um ihre Beziehung zur Schizophrenie zu definieren:
1. Wo Doppelbindungen von längerer oder sogar chronischer
Dauer sind, werden sie zu gewohnheitsmäßigen und schwer
beeinflussbaren Erwartungen hinsichtlich der Natur menschlicher Beziehungen und der Welt im Allgemeinen, und diese Erwartungen bedürfen schließlich keiner weiteren Verstärkungen.
2. Das durch Doppelbindungen verursachte paradoxe Verhalten hat selbst doppelbindende Rückwirkungen, und dies führt zu
sich selbst verewigenden Kommunikationsstrukturen. In künstlicher Isolierung betrachtet, entspricht das Verhalten des am auffälligsten gestörten Kommunikationsteilnehmers den klinischen
Kriterien der Schizophrenie.
6.434 Doppelbindungen sind also nicht einfach widersprüchliche,
sondern wirklich paradoxe Handlungsforderungen. Bei der Beschreibung der Antinomien haben wir bereits den wesentlichen
Unterschied zwischen einer Kontradiktion und einer Paradoxie
untersucht und dabei festgestellt, dass jede Antinomie eine logische Kontradiktion, aber nicht jede logische Kontradiktion eine
Antinomie ist. Derselbe Unterschied besteht zwischen widersprüchlichen und paradoxen Handlungsaufforderungen (Doppelbindungen) und ist von großer Bedeutung, da die pragmatische Wirkung dieser zwei Formen von Handlungsaufforderungen
sehr verschieden ist.
Die logische Struktur unserer Sprache, die damit eng verbundenen Denkvorgänge und ganz allgemein unsere Wirklichkeitswahrnehmungen beruhen so grundsätzlich auf der aristotelischen Regel, wonach A
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