Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
Vom Netzwerk:
unerwartete Prüfung an einem Tag der nächsten Woche zu halten. Sie begründen dies wie folgt: Wenn die Prüfung bis Donnerstag
Abend nicht stattgefunden hat, so kann sie nicht unerwartet am Freitag
abgehalten werden, denn der Freitag ist der letzte mögliche Prüfungstag.
Wenn aber der Freitag auf diese Weise wegfällt, kann auch der Donnerstag eliminiert werden. Am Mittwoch Abend bleiben nämlich nur zwei
Tage übrig, Donnerstag und Freitag. Der Freitag kommt, wie wir bereits
gesehen haben, nicht in Frage. Dies lässt nur den Donnerstag übrig,
sodass eine Prüfung am Donnerstag nicht mehr unerwartet wäre. In derselben Weise scheiden aber auch der Mittwoch, Dienstag und schließlich
der Montag aus - eine unerwartete Prüfung ist unmöglich. Es kann angenommen werden, dass der Direktor sich diesen «Beweis» schweigend
anhört und dann z. B. am Donnerstag Morgen die Prüfung abhält. Vom
Augenblick seiner Ankündigung hatte er den Donnerstag als Prüfungstag vorgesehen, und die Schüler stehen nun vor einer Prüfung, die gerade
deswegen unerwartet ist, weil sie sich selbst überzeugt hatten, dass sie
nicht unerwartet sein könne.
    Es fällt nicht schwer, in dieser Geschichte die nun schon vertrauten Merkmale der Paradoxie zu entdecken. Die Schüler führten
eine anscheinend einwandfreie logische Ableitung von den in der
Ankündigung des Direktors enthaltenen Prämissen durch und
kamen zu dem Schluss, dass eine unerwartete Prüfung unmöglich
ist. Der Direktor kann dagegen die Prüfung an jedem beliebigen
Schultag der betreffenden Woche abhalten, ohne den Wortlaut
seiner Ankündigung auch nur im Geringsten zu verletzen. Das
Überraschendste an dieser Paradoxie ist, dass es sich bei näherer
Untersuchung herausstellt, dass die Prüfung sogar am Freitag
abgehalten und dennoch unerwartet sein kann. Ja, der Kern der
Geschichte ist gerade die am Donnerstag Abend bestehende Situation, während die Einbeziehung der anderen Wochentage nur
zur Ausschmückung und nebensächlichen Komplizierung des Problems dient. Am Donnerstag Abend ist Freitag als einzig möglicher Prüfungstag übrig geblieben, und das macht eine Prüfung
am Freitag absolut vorhersehbar, «sie muss morgen sein, wenn sie
überhaupt stattfinden soll; sie kann nicht morgen stattfinden - da
sie nicht unerwartet wäre» -, so sehen es die Schüler. Wie sich nun
aber erweist, ist es gerade diese Schlussfolgerung, die es dem
Direktor ermöglicht, eine unerwartete Prüfung am Freitag (oder
jedem beliebigen anderen Schultag dieser Woche) in voller Übereinstimmung mit seiner Ankündigung zu halten. Selbst wenn die
Schüler erkennen, dass die Prüfung gerade deswegen unerwartet
abgehalten werden kann, weil sie mit ihrer Schlussfolgerung die
Unerwartetheit eliminierten, hilft ihnen diese Entdeckung nicht
im Geringsten. Sie beweist vielmehr nur, dass die Prüfung am
Freitag gerade deswegen unerwartet stattfinden kann, weil sie für
die Schüler am Donnerstag Abend nicht mehr unerwartet ist.

    Es handelt sich hier also um eine wirkliche Paradoxie:
    1. Die Ankündigung enthält eine Voraussage in der Objektsprache («Eine Prüfung wird abgehalten werden»).
    2. Sie enthält eine Voraussage in der Metasprache, die die Voraussagbarkeit von (1) negiert, nämlich: «die (vorausgesagte)
Prüfung wird unvoraussagbar sein.»
    3. Die zwei Voraussagen schließen sich gegenseitig aus.
    4. Es liegt in der Macht des Direktors, die Schüler am Verlassen
des durch seine Ankündigung gesetzten Rahmens (Teilnahme
an Prüfungen ist ja obligatorisch) und am Finden zusätzlicher
Information zu verhindern, die ihnen die Entdeckung des
Prüfungstages ermöglichen würde.
    6.442 So viel über die logische Struktur der Ankündigung des
Schuldirektors. Wenn wir uns nun ihren pragmatischen Wirkungen zuwenden, ergeben sich zwei überraschende Schlussfolgerungen. Die erste ist, dass das logische Dilemma nur dann entstehen kann, wenn die Schüler durch ihre spitzfindige Ableitung zu dem Schluss kommen, dass die Prüfung in der angekündigten
Form unmöglich ist. Dann, und nur dann, ergibt sich nämlich die
Situation, in der sich die Voraussage einer unerwarteten Prüfung
erfüllen kann. Das bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger,
als dass die Zwangslage nur dank des logischen Denkens der
Schüler möglich ist. Wären sie nicht so intelligent, so würden sie
vermutlich die subtile Komplexität des Problems übersehen, die
Prüfung als unerwartbar

Weitere Kostenlose Bücher