Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
Vom Netzwerk:
erwarten und damit den Direktor ad
absurdum führen. Denn sobald sie sich unlogischerweise mit der
Tatsache abfinden, dass das Unerwartete erwartet werden muss,
ist keine Prüfung zwischen Montag und Freitag für sie unerwartet. Hat es nicht also den Anschein, als ob ihre fehlerhafte Logik
ihre Haltung realistischer mache? Denn es besteht wirklich kein
Grund, weshalb die Prüfung nicht an einem beliebigen Schultag
der betreffenden Woche stattfinden kann, und nur die logisch
scharf denkenden Schüler können das nicht einsehen.

    In der Psychotherapie mit intelligenten Schizophrenen hat
man immer wieder den Eindruck, dass der Zustand dieser Patienten viel besser, viel «normaler» wäre, wenn sie nur irgendwie die
Schärfe ihres Denkens abstumpfen und damit seine lähmende
Wirkung auf ihre Handlungen vermindern könnten. In ihrer eigenen Weise scheinen sie alle Nachkommen des Kellermenschen in
Dostojewskis Aus dem Dunkel der Großstadt zu sein, der erklärt:
    ... Meine Herren, ich schwöre Ihnen, dass allzu viel erkennen - Krankheit ist, eine richtige, rechte Krankheit [36, S. 8].
    ... Die Inertie erdrückte mich. Denn die direkte, gesetzmäßige, unmittelbare Frucht der Erkenntnis - das ist die Inertie, d.h., das bewusste
Hände-im-Schoß-Stillsitzen. Das habe ich schon früher erwähnt. Wiederhole es, wiederhole es nachdrücklichst: alle Tatmenschen sind ja nur
tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind. Wie das erklären? Ganz
einfach: infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die nächsten und zweitrangigen Ursachen für die Urgründe, und so überzeugen sie sich schneller und leichter als die anderen, dass sie eine unwandelbare Basis für ihre
Tätigkeit gefunden haben, nun, und geben sich damit zufrieden - und das
ist doch die Hauptsache. Denn um eine Tätigkeit zu beginnen, muss man
vorläufig vollständig beruhigt sein, auf dass nicht die geringsten Zweifel mehr übrig bleiben. Nun, wie aber soll z. B. ich mich beruhigen? Wo sind
bei mir die Urgründe, auf die ich mich stützen kann, wo die Basis? Woher
soll ich sie nehmen? Ich übe mich im Denken, und folglich zieht bei mir
jeder Urgrund sofort einen anderen, noch älteren, hinter sich her, und so
geht es weiter bis in die Unendlichkeit. Derart ist eben das Wesen aller
Erkenntnis und alles Denkens [36, S. 23 f.].

    Wenn, wie wir in Abschnitt 6.435 gesehen haben, Doppelbindungen mit Verhalten einhergehen, das der paranoiden, hebephrenen
oder katatonen Untergruppe der Schizophrenie entspricht, so
scheint es, dass paradoxe Voraussagen zusammen mit Verhalten
auftreten, das der typischen Untätigkeit und Abulie der einfachen
Schizophrenie gleichkommt.
    6.443 Die zweite Schlussfolgerung, die sich uns aufdrängt, ist
vielleicht noch bestürzender als diese scheinbare Verteidigung
schlampigen Denkens. Das Dilemma der Schüler wäre nämlich
auch dann unmöglich, wenn sie dem Direktor nicht unbedingt
vertrauten. Ihre Schlussfolgerung steht und fällt mit der Annahme,
dass sie dem Direktor vertrauen können und müssen. Misstrauen
in ihn würde die Paradoxie zwar nicht logisch, wohl aber pragmatisch auflösen. Wenn man ihm nicht trauen kann, dann hat es
auch keinen Zweck, seine Ankündigung ernst zu nehmen, und
unter diesen Umständen ist es das Beste, eine Prüfung irgendwann zwischen Montag und Freitag zu erwarten. (Dies bedeutet,
dass sie nur den Teil der Ankündigung ernst nehmen, der in der
Objektsprache ist, also «nächste Woche wird eine Prüfung abgehalten werden», und den Meta-Aspekt ihrer Voraussagbarkeit
unbeachtet lassen.) Wir kommen somit zu der betrüblichen
Schlussfolgerung, dass nicht nur logisches Denken, sondern auch
Vertrauen uns für diese Form der Paradoxie anfällig macht.
    6.444 Es mag den Anschein haben, dass solche Paradoxien selten, wenn überhaupt, in wirklichen Lebenssituationen auftreten.
Diese Annahme trifft aber vor allem auf dem Gebiet der schizophrenen Kommunikation nicht zu. Der Schizophrene spielt sowohl die Rolle der Schüler als auch die des Direktors. Wie die
Schüler ist er in der Sackgasse von Logik und Vertrauen gefangen.
Aber er ist insofern auch in der Position des Direktors, als er Mitteilungen aussendet, die unentscheidbar sind. In den Schlussbemerkungen seines Referats über diese Form von Paradoxie hat
Nerlich die Sachlage mit aller Klarheit umrissen, obwohl sich
seine Bemerkungen nicht auf Schizophrenie beziehen: «Eine
Möglichkeit, nichts zu sagen, ist, sich selbst

Weitere Kostenlose Bücher