Menschliche Kommunikation
zu wider-sprechen.
Und wenn man es fertig bringt, sich selbst zu widersprechen,
indem man sagt, dass man nichts sagt, dann widerspricht man sich
schließlich nicht einmal» [108, S. 513]. Wenn, wie wir in Abschnitt
2.23 und 3.2 postulierten, der Schizophrene versucht, nicht zu
kommunizieren, dann besteht die einzige uns bekannte «Lösung»
seiner Zwangslage im Gebrauch unentscheidbarer Mitteilungen,
die über sich selbst aussagen, dass sie nichts besagen.
6.445 Doch auch außerhalb rein schizophrener Kommunikation
können paradoxe Voraussagen ihr Unwesen in menschlichen
Beziehungen treiben. Dies ist z.B. der Fall, wenn Person A das
volle Vertrauen von B genießt und B mit einer Handlung bedroht,
die ihn (A) vertrauensunwürdig machen würde. Das folgende
Beispiel soll dies näher erläutern:
Ein Ehepaar sucht psychotherapeutische Hilfe, da beide unter
der übermäßigen Eifersucht der Frau leiden. Der Gatte erweist
sich als ein übertrieben starrer, moralistischer Mann, der sehr
stolz auf seinen asketischen Lebensstil ist und darauf, dass «ich
niemals in meinem Leben irgendjemandem Grund gegeben habe,
an meinem Wort zu zweifeln». Rein oberflächlich und in monadischer Sicht erscheint er also als das unwahrscheinlichste Objekt
fraulicher Eifersucht. Seine Frau, die aus einem ganz anderen
Milieu stammt, hat sich in die inferiore Komplementärposition
gefügt, jedoch mit einer Ausnahme: Sie ist nicht willens, auf ihren
Cocktail vor dem Abendessen zu verzichten - eine Gewohnheit,
die für ihn als Antialkoholiker widerlich ist und seit Beginn ihrer
Ehe den Anlass für viele Streitereien lieferte. Vor etwa zwei Jahren drohte er ihr in einer Aufwallung von Zorn: «Wenn du
dieses Laster nicht aufgibst, lege ich mir auch eines zu» und ließ
durchblicken, dass er damit Affären mit anderen Frauen meinte.
Doch die Wirkung blieb aus, und einige Monate später entschloss
sich der Mann, ihr ihre Cocktails um des häuslichen Friedens
willen offiziell zu gestatten. An diesem Punkt nun brach ihre
Eifersucht aus, deren Grund war und weiterhin ist: Er ist absolut
vertrauenswürdig; daher muss er seine Drohung wahr machen
und untreu (also vertrauensunwürdig) sein. Genau wie sie ist
auch er hilflos im Netz seiner paradoxen Voraussage gefangen, da
er letztlich keine Möglichkeit hat, ihr überzeugend zu versichern,
dass seine Drohung impulsiv war und nicht ernst genommen
werden sollte.
Die Struktur seiner Drohung ist identisch mit jener der Prüfungsankündigung des Schuldirektors. In der Sicht seiner Frau
besagt sie:
1. Ich bin absolut vertrauenswürdig.
2. Ich werde dich nun durch Vertrauensunwürdigkeit (Untreue,
Täuschung) strafen.
3. Ich werde also vertrauenswürdig bleiben, indem ich vertrauensunwürdig bin, denn wenn ich jetzt nicht dein Vertrauen in
meine eheliche Treue zerstöre, wäre ich nicht mehr vertrauenswürdig.
Vom semantischen Standpunkt ergibt sich die Paradoxie aus den
beiden verschiedenen Bedeutungen von «vertrauenswürdig». In
(1) wird das Wort in der Metasprache verwendet und bezieht
sich dort auf die gemeinsame Eigenschaft aller seiner Handlungen, Versprechungen und Haltungen. In (2) gehört das Wort der
Objektsprache an und bezieht sich auf eheliche Treue. Das Gleiche gilt für die beiden Verwendungen des Wortes «unerwartet» in
der Ankündigung des Schuldirektors. Auch hier wird dasselbe
Wort einmal in der Metasprache und einmal in der Objektsprache
verwendet, was zu bemerkenswerten pragmatischen Folgen führt. 6.446 Vertrauen - das Gefangenendilemma. In menschlichen Beziehungen beruhen alle Voraussagen in der einen oder der anderen Weise auf Vertrauen. Wenn Person A von B einen Scheck erhält, so bleibt für sie die Frage, ob dieser Scheck gedeckt ist oder nicht, vorderhand un-beantwortbar. In diesem Sinne sind A's und B's Lagen sehr verschieden. B weiß, ob sein Scheck gedeckt ist oder nicht; A kann ihm lediglich vertrauen oder misstrauen," denn er wird erst dann Gewissheit haben, wenn er den Scheck bei der Bank zur Einlösung vorlegt. Es liegt in der Natur menschlicher Kommunikation, dass es keine Möglichkeit gibt, einen anderen Menschen zum Teilhaber von Informationen oder Wahrnehmungen zu machen, die nur einem selbst zugänglich sind. Der andere kann einem bestenfalls vertrauen oder misstrauen, aber er kann es nicht wissen. Andererseits aber ist ein Grad von Vertrauen unerlässlich, denn die meisten menschlichen Tätigkeiten kämen praktisch zum
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