Menschliche Kommunikation
Erliegen, wenn Menschen nur aufgrund direkter Informationen oder Wahrnehmungen handelten. Bei weitem die meisten unserer Entscheidungen beruhen auf Vertrauen. Vertrauen spielt also eine wichtige Rolle in der Abschätzung künftiger Ereignisse und, im engeren Sinn, deren Voraussagbarkeit.
Bisher haben wir zwischenmenschliche Situationen in Betracht gezogen, in denen ein Partner unmittelbare Information
besitzt und der andere nur die Möglichkeit hat, der Übermittlung
dieser Information zu vertrauen oder zu misstrauen. Der Direktor weiß, dass er die Prüfung am Donnerstag morgen abhalten
wird; der Gatte weiß, dass er keine Absicht hat, seine Frau zu betrügen; der Mann, der einen Scheck ausstellt, weiß (meistens), ob
er gedeckt ist oder nicht. In zwischenmenschlichen Situationen von der Art des Gefangenendilemmas19 besitzen aber weder der eine noch der andere Partner unmittelbare Information. Beide sind daher auf ihr Vertrauen in den anderen angewiesen, auf eine Abschätzung ihrer eigenen Vertrauenswürdigkeit in den Augen des anderen und auf ihre Voraussage des Entscheidungsverfahrens des anderen, von dem sie wissen, dass es weitgehend auf dessen Voraussagen über ihr eigenes Entscheidungsverfahren beruht. Wie wir nun sehen werden, führen diese Voraussagen unweigerlich zu Paradoxien.
Das spieltheoretische Modell des Gefangenendilemmas lässt
sich am einfachsten durch die folgende (oder jede beliebige ähnliche) Matrix darstellen:
In dieser Spielsituation haben Spieler A und Spieler B je zwei
Alternativen. A kann al oder a2 und B entweder b1 oder b2 wählen.
Beiden sind die durch die Matrix festgelegten Gewinne und Verluste bekannt. So weiß A z.B., dass er und B je 5 Punkte gewinnen, wenn er al und B b2 wählt; wenn B aber die Alternative b2 wählt, verliert A 5 Punkte und B gewinnt 8 Punkte. B befindet
sich in derselben Lage gegenüber A. Ihr Dilemma besteht darin,
dass beide nicht wissen können, welche Alternative der andere
wählen wird, da sie aufgrund der Spielregeln gleichzeitig wählen
müssen, über ihre Wahl aber nicht kommunizieren können.
Unter diesen Bedingungen erweist es sich, dass, gleichgültig ob das Spiel nur einmal oder hundertmal hintereinander gespielt wird, die Entscheidung (a2, b2) die sicherste ist, obwohl sie jedes Mal einen Verlust von je 3 Punkten für beide Spieler bedeutet.` Eine viel vernünftigere Lösung wäre natürlich (a,, b,), da sie beiden Spielern einen Gewinn von je 5 Punkten bringt. Diese Entscheidung kann aber nur unter der Voraussetzung gegenseitigen Vertrauens erreicht werden. Wenn nämlich Spieler A seine Entscheidung rein vom opportunistischen Gesichtspunkt seines maximalen Gewinns und minimalen Verlustes trifft und Grund zur Annahme hat, dass ihm B genügend vertraut, um blzu wählen, dann hat A allen Grund, a2 zu wählen, da das dadurch zustande kommende Resultat (a2, b,) A einen maximalen Gewinn gibt. Wenn A aber ein genügend scharfer Denker ist, so muss er sich sagen, dass B genau denselben Gedankengang verfolgen kann und daher b2 statt b, spielen wird, besonders wenn auch B annimmt, dass A ihm genügend vertraut, und er selbst genügend Vertrauen hat, dass A al wählen wird. Damit kommen wir zu der traurigen Schlussfolgerung, dass (a2, b2) die einzig vernünftige, d. h. sicherste Strategie für beide Spieler ist, dass dabei aber beide verlieren.
Dieses Resultat ist keineswegs ein rein theoretisches. Es ist die vielleicht eleganteste Abstraktion eines Beziehungsproblems, das man in der Psychotherapie von Ehen oder anderen engen Beziehungen immer wieder antrifft. Ehepartner, die in stummer Enttäuschung dahinleben und einander fast nichts zu geben imstande sind, bevölkern seit Langem die Wartezimmer der Psychotherapeuten. Meist aber wird der Grund für ihr Unglücklichsein in einer individuellen Pathologie des einen oder des andern Partners
gesucht, der als depressiv, passiv-aggressiv, selbstbestrafend,
sadomasochistisch usw. diagnostiziert wird. Alle diese Diagnosen
aber lassen die wechselseitige Natur ihrer Zwangslage unberücksichtigt, die ganz unabhängig von den Persönlichkeitsstrukturen
der Partner bestehen und ausschließlich im Wesen ihres Beziehungsdilemmas liegen kann. Es ist, als ob sie sich sagten: «Vertrauen würde mich verletzbar machen, daher muss ich auf meine
Sicherheit bedacht sein», und die darin enthaltene Voraussage ist:
«Der andere würde mich sonst ausnützen.»
Meistens reichen die gegenseitige Beurteilung
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