Mephisto
Ministerpräsident, sich im Walzerschritt mit Lotte Lindenthal schwingend, war vorübergekommen, und er hatte ihnen zugewinkt.
Die Beziehungen zwischen Hendrik und Lotte Lindenthal gewannen an menschlicher Wärme. Mit der Komödie ›Das Herz‹ hatten sie beide einen großen Erfolg gehabt. Lottens Befürchtungen, die Strenge der Berliner Presse betreffend, hatten sich als unbegründet erwiesen. Im Gegenteil waren alle Kritiken des Lobes voll gewesen über ihre ›frauliche Anmut‹, ihre herbe Schlichtheit und die echt deutsche Innigkeit ihres Spieles. Niemand hatte die heikle Frage an sie gerichtet, warum sie immer auf so komische Art den kleinen Finger von sich strecke. Hingegen hatte Dr. Ihrig in seiner großen Rezension der Ansicht Ausdruck verliehen, Lotte Lindenthal sei die »wahrhaft repräsentative Menschendarstellerin des neuen Deutschlands‹. »Sehen Sie, Hendrik, das habe ich nun hauptsächlich Ihnen zu verdanken«, sprach die gutmütige Ährenblonde. »Wenn Sie nicht so energisch und so kameradschaftlich mit mir gearbeitet hätten, dann wäre, mir dieser schöne Erfolg nicht beschieden gewesen.« – Hendrik dachte sich, daß sie ihren schönen Erfolg viel mehr dem dicken Fliegergeneral als ihm zu verdanken habe, sprach es aber nicht aus.
Er spielte die Komödie ›Das Herz‹ zusammen mit Lotte auch in mehreren großen Provinzstädten, in Hamburg, Köln, Frankfurt und München: im ganzen Lande trat er auf als Partner der »repräsentativen Menschendarstellerin des neuen Reiches‹. Bei den Gesprächen während der langen Eisenbahnfahrten gewährte ihm die hohe Frau tiefere Einblicke in ihr Innenleben, als sie es im allgemeinen zu tun für nützlich hielt. Sie sprach nicht nur von ihrem Glück, sondern auch von den Sorgen. Ihr Dicker war oft so heftig. »Haben Sie eine Ahnung, was ich manchmal auszustehen habe«, sagte Lotte; aber im Grunde, so versicherte sie, war er ein guter Mensch. »Was auch seine Feinde von ihm reden mögen – im Grunde ist er die Güte selbst! Und so romantisch!« Lotte hatte Tränen in den Augen, da sie berichtete, wie ihr Ministerpräsident zuweilen, um Mitternacht, im Bärenfell und mit dem blanken Schwert an der Seite, eine kleine Andacht vor dem Porträt seiner verschiedenen Gattin verrichtete. »Sie war doch Schwedin«, sagte die Lindenthal, als ob dies alles erklärte. »Eine Nordländerin, und sie hat Männe im Auto durch ganz Italien gefahren, damals, als er bei dem Münchener Putsch verwundet worden war. Natürlich kann ich verstehen, daß er da an ihr hängt – wo er sowieso so kolossal romantisch ist. – Aber schließlich hat er jetzt mich«, fügte sie, nun doch ein wenig pikiert, hinzu. –
Der Schauspieler Höfgen durfte Anteil nehmen am Privatleben der Götter. Wenn er abends, nach der Vorstellung, bei Lotte in ihrem schönen Heim am Tiergarten saß und Schach oder Karten mit ihr spielte, geschah es zuweilen, daß der Ministerpräsident unangemeldet, laut und polternd das Zimmer betrat. Wirkte er da nicht wie der Gutmütigste? War ihm anzusehen, was für greuliche Geschäfte hinter ihm lagen und welche er für den nächsten Tag plante? Er scherzte mit Lotte, er trank sein Glas Rotwein, streckte die enormen Beine von sich, und mit Höfgen sprach er über ernste Dinge, am liebsten über den Mephistopheles.
»Sie haben mich diesen Kerl erst so richtig verstehen lassen, mein Lieber«, sagte der General. »Das ist ja ein toller Bursche! Und haben wir nicht alle was von ihm? Ich meine: steckt nicht in jedem rechten Deutschen ein Stück Mephistopheles, ein Stück Schalk und Bösewicht? Wenn wir nichts hätten als die faustische Seele – wo kämen wir denn da hin? Das könnte unseren vielen Feinden so passen! Nein nein – der Mephisto, das ist auch ein deutscher Nationalheld. Man darf es nur den Leuten nicht sagen«, schloß der Minister des Flugwesens und grunzte behaglich.
Die trauten Abendstunden im Hause der Lindenthal benutzte Hendrik dazu, um bei seinem Gönner, dem Freund der schönen Künste und der Bombengeschwader, allerlei, was ihm am Herzen lag, durchzusetzen. Er hatte es sich, zum Beispiel, in den Kopf gesetzt, auf der Bühne des Staatstheaters als Friedrich der Große von Preußen zu erscheinen – das war so eine Laune von ihm. »Ich will nicht immer nur Dandys und Verbrecher spielen«, erklärte er schmollend dem Dicken. »Das Publikum fängt ja schon an, mich mit diesen Typen zu identifizieren, wenn ich sie immer wieder darstelle. Nun
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