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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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brauche ich einmal eine große patriotische Rolle. Dieses schlechte Stück über den Alten Fritz, das unser Freund Muck da angenommen hat, kommt mir gerade recht. Das wäre eine Sache für mich!« Der General mochte einwenden, daß Höfgen dem berühmten Hohenzollern doch überhaupt nicht ähnlich sehe – Hendrik bestand auf seiner vaterländischen Caprice, in der er übrigens von Lotte Lindenthal unterstützt wurde. »Aber ich kann doch Maske machen!« rief er aus. »Ich habe in meinem Leben schon ganz andere Dinge fertiggebracht, als mal ein bißchen auszusehen wie der Alte Fritz!« – Der Dicke hatte volles Zutrauen zu den Maskierungskünsten seines Schützlings. Er befahl, daß Höfgen den Alten Fritz spiele. Cäsar von Muck, der schon eine andere Besetzung angeordnet hatte, biß sich zuerst die Lippen, schüttelte dann Hendrik beide Hände und sprach sächsisch vor Herzlichkeit. Hendrik bekam seinen Preußenkönig, klebte sich eine falsche Nase, ging am Krückstock und sprach mit krächzender Stimme. Doktor Ihrig schrieb, er entwickle sich mehr und mehr zum repräsentativen Schauspieler des neuen Reiches. Pierre Larue berichtete an eine faschistische Revue in Paris, das Berliner Theater habe jetzt eine Vollkommenheit erreicht, die es in den vierzehn Jahren der Schmach und der Versöhnungspolitik niemals besessen. Bei seinem gewaltigen Protektor setzte Hendrik noch ganz anderes durch als derlei Harmlosigkeiten. An einem besonders gemütlichen Abend – Lotte hatte eine Bowle gebraut und der Dicke hatte Kriegserinnerungen erzählt – entschloß sich Höfgen dazu, völlig offen zu werden und von seiner schlimmen Vergangenheit zu sprechen. Es war eine große Beichte, und der Gewaltige nahm sie gnädig auf. »Ich bin ein Künstler!« rief Hendrik mit glimmenden Augen, und er eilte wie ein nervöser Sturmwind durchs Zimmer. »Und wie jeder Künstler, habe ich manche Torheit begangen.« Er blieb stehen, ließ den Kopf in den Nacken sinken, breitete ein wenig die Arme und erklärte pathetisch:
    »Sie können mich vernichten, Herr Ministerpräsident. Nun gestehe ich alles.«
    Er gestand, daß er von den zersetzenden bolschewistischen Strömungen nicht unberührt geblieben sei und mit der ›Linken‹ kokettiert habe. »Das war Künsterlaune!« erklärte er mit leidendem Stolz. »Oder Künstlertorheit – wenn Sie es so nennen wollen!«
    Natürlich hatte der Dicke all dies, und noch viel mehr, schon seit langem gewußt und sich nie darüber aufgeregt. Im Lande mußte eiserne Zucht herrschen, und möglichst viele sollten hingerichtet werden. Was seine engere Umgebung betraf, war der große Mann liberal. »Na ja«, sagte er nur. »Jeder kann sich mal in was Blödes verrennen. Es waren eben schlechte, unordentliche Zeiten.«
    Hendrik aber war noch keineswegs fertig. Nun ging er dazu über, dem General auseinanderzusetzen, daß andere verdienstvolle Künstler die gleichen Torheiten begangen hätten wie er selber. »Diese aber büßen noch für Sünden, die man mir so großmütig vergeben hat. Sehen Sie, Herr Ministerpräsident, und das quält mich. Ich bitte für einen bestimmten Menschen. Für einen Kameraden. Ich kann versprechen, daß er sich gebessert hat. Herr Ministerpräsident – ich bitte für Otto Ulrichs. Man hat schon gesagt, er sei tot. Aber er lebt. Und er verdient es, in der Freiheit zu leben.« Dabei hatte er, mit unwiderstehlich schöner Gebärde, seine beiden ausgestreckten Hände, die wirkten, als wären sie spitz und gotisch, etwa in die Höhe der Nase gehoben.
    Lotte Lindenthal war zusammengezuckt. Der Ministerpräsident knurrte: »Otto Ulrichs … wer ist das?« Dann fiel ihm ein, daß es der Leiter des kommunistischen Kabaretts ›Der Sturmvogel‹ war. »Aber das ist doch wohl wirklich ein ziemlich übler Kerl«, sagte er verdrossen.
    Ach nein, doch kein übler Kerl! Hendrik beschwor den General, dies bitte ja nicht zu glauben. Ein wenig leichtsinnig – das wollte er zugeben –, ein bißchen unbedacht war sein Freund Otto. Aber doch kein übler Kerl. Und übrigens hatte er sich ja geändert. »Er ist ein ganz neuer Mensch geworden«, behauptete Hendrik, der seit Monaten ohne jeden Kontakt zu Ulrichs war.
    Da Lotte Lindenthal selbst in dieser heiklen Sache Hendrik ihren Beistand lieh, gelang es schließlich, das Unglaubliche beim Dicken durchzusetzen: Ulrichs wurde freigelassen, und man offerierte ihm sogar ein kleines Engagement am Staatstheater – selbst dies Äußerste und Unwahrscheinlichste

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