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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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geworden. Hendrik wartete ab – und wußte kaum, welchen Ausgang er dem Götterstreit wünschen sollte. Einerseits reizte die Aussicht auf die Intendanz gewaltig seine Eitelkeit und Wirkungssucht; auf der anderen Seite gab es Bedenken. Wenn er einen hohen öffentlichen Posten in diesem Staate bekleidete, identifizierte er sich ganz und für immer mit dem Regime: auf Gedeih und Verderb verband er das eigene Schicksal mit dem der blutbefleckten Abenteurer. Wollte er das? War dies seine Absicht gewesen? Gab es nicht Stimmen in seinem Herzen, die ihn vor solchem Schritt warnten? Die Stimmen des schlechten Gewissens, und mit ihnen die Stimmen der Angst? …
    Die Götter kämpften, die Entscheidung fiel: der Dicke hatte gesiegt. Er befahl Höfgen zu sich und trug ihm in aller Form die Intendanz der Staatstheater an. Da der Schauspieler mehr verwirrt als entzückt schien und fast Bestürzung anstatt Enthusiasmus zeigte, wurde der Ministerpräsident zornig.
    »Ich habe meinen ganzen Einfluß für Sie eingesetzt! Machen Sie jetzt keine Geschichten! Übrigens ist auch der Führer sehr dafür, daß Sie Intendant werden«, log der General.
    Hendrik zögerte, teils wegen der inneren Stimmen, die nicht schweigen wollten, teils weil er es genoß, sich bitten zu lassen von der blutbefleckten Macht. Sie brauchen mich, jubelte es in ihm. Beinah war ich schon Emigrant, und jetzt bettelt der Gewaltige, ich solle ihm seine Theater vor der Pleite retten! Er bat sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit aus. Der Dicke entließ ihn murrend.
    Nachts besprach Hendrik sich mit Nicoletta.
    »Ich weiß nicht«, klagte er und schickte unter halbgesenkten Lidern kokette Juwelenblicke ins Leere. »Soll ich – soll ich nicht …? Es ist alles so gräßlich schwierig …« Er ließ den Kopf in den Nacken sinken und hielt das edle, überanstrengte Gesicht der Decke zugewandt.
    »Aber natürlich sollst du!« redete Nicoletta mit einer hohen, scharfen und süßen Stimme. »Du weißt doch selbst ganz genau, daß du sollst – daß du mußt. Dies ist der Sieg, mein Liebling«, girrte sie, wobei sie nicht nur den Mund, sondern den ganzen Körper schlängelte. »Es ist der Triumph! Ich habe immer gewußt, daß er für dich kommen würde.«
    Er fragte sie – weiter den kalten, schimmernden Blick der Decke zugewandt –: »Wirst du mir helfen, Nicoletta?«
    Sie kauerte vor ihm, zwischen den Kissen des Lagers. Während sie ihn aus ihren schönen, weiten Katzenaugen anstrahlte, antwortete sie, und formte jede Silbe wie eine Kostbarkeit: »Ich werde stolz auf dich sein.«
    Am nächsten Tag war leuchtendschönes Wetter; Hendrik beschloß, zu Fuß von seiner Wohnung zum Palais des Ministerpräsidenten zu gehen. Das ungewöhnliche Ereignis dieser ausführlichen Promenade sollte den festlichen Charakter des Tages unterstreichen. Denn war der Tag, an dem Hendrik Höfgen sein Talent, seinen Namen ganz und gar der blutbefleckten Macht zur Verfügung stellte, kein festlicher? Nicoletta begleitete ihren Freund. Es war ein netter Spaziergang. Die Stimmung der beiden Lustwandelnden war gehoben und munter; leider wurde sie ein wenig getrübt durch eine Begegnung, die sie unterwegs hatten.
    In der Nähe des Tiergartens erging sich eine alte Dame, die durch aufrechte Haltung und ein schönes, weißes, hochmütiges Gesicht imponierte. Zu einem perlengrauen Kostüm von etwas altmodischem, aber elegantem Schnitt trug sie einen dreieckigen Hut aus glänzendem, schwarzem Material. Unter dem Hut kamen an den Schläfen steif gedrehte, runde weiße Locken zum Vorschein. Das Haupt der alten Dame glich dem eines Adligen aus dem XVIII. Jahrhundert. Sie ging sehr langsam, mit kleinen aber sicheren Schritten. Um ihre gebrechliche, zarte, jedoch durch Energie gestraffte Figur war die melancholische Würde versunkener Epochen, in denen die Menschen von sich wie von den anderen eine schönere und strengere Haltung verlangt hatten, als sie in unseren betriebsam aufgeregten, aber ziemlich hohlen und fahrlässigen, der totalen Entwürdigung bedenklich zugeneigten Tagen üblich ist.
    »Es ist die Generalin«, sagte Nicoletta ehrfurchtsvoll leise; dabei blieb sie stehen. Sie war etwas rot geworden. Auch Hendrik errötete, während er seinen leichten grauen Hut zog und sich tief verneigte.
    Die Generalin hob die Lorgnette, die ihr an einer langen Kette aus blauen Halbedelsteinen auf der Brust hing. Durch das Glas musterte sie, ausführlich und gelassen, das junge Paar, welches nur noch einige

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