Mephisto
germanistischen und theatergeschichtlichen Kollegs hatte er theologische gehört. Für Politik interessierte er sich nicht. »Hendrik Höfgen ist ein großer Mensch«, pflegte er zu sagen und verlieh dieser Meinung in den jüdischen Kreisen, zu denen er durch seine Familie, und in den oppositionell-religiösen, zu denen er durch seine Frömmigkeit Beziehung hatte, eifrig Ausdruck.
Hendrik honorierte den ergebenen Johannes aus eigener Kasse: er ließ es sich etwas kosten, einen Menschen von der Paria-Rasse in seinem Dienste zu haben und, auf solche Weise, den Gegnern des Regimes zu imponieren. Für das Gehalt eines ›arischen‹ Privatsekretärs wäre das Staatstheater aufgekommen; jedoch konnte der Intendant nicht gut die öffentliche Kasse für den Sold eines ›Nicht-Ariers‹ in Anspruch nehmen. Vielleicht hätte ihm der Ministerpräsident sogar diese Laune verziehen. Aber Hendrik legte Wert darauf, das finanzielle Opfer zu bringen. Die zweihundert Mark, die er monatlich zu zahlen hatte und die übrigens in seinem Etat eine minimale, kaum spürbare Rolle spielten, lohnten sich ihm. Denn gerade sie gaben seiner schönen Tat ein besonderes Gewicht und vergrößerten ihre Wirkung. Der Jüngling Johannes Lehmann war ein bedeutender Aktivposten in der Bilanz jener ›Rückversicherungen‹, die Höfgen sich ohne gar zu große Risiken leisten durfte. Er brauchte sie, ohne sie hätte er seine Situation kaum ertragen, sein Glück wäre zerstört worden durch ein schlechtes Gewissen, das wunderlicherweise nie ganz schweigen wollte, und durch eine Angst vor der Zukunft, die den großen Mann zuweilen bis in seine Träume verfolgte.
Im Theater selbst – dort also, wo er als hohe Amtsperson handelte – erschien es ihm keineswegs ratsam, sich gar zuviel herauszunehmen: der Propagandaminister und seine Presse schauten ihm auf die Finger. Der Intendant mußte froh sein, wenn er das Äußerste an künstlerischer Blamage, wenn er die Aufführung völlig dilettantischer Stücke, das Engagement total unbegabter, nichts-als-blonder Schauspieler verhindern konnte.
Selbstverständlich war das Theater garantiert ›judenrein‹, von den Bühnenarbeitern, Inspizienten und Portiers bis hinauf zu den Stars. Selbstverständlich durfte die Annahme eines Stückes nicht erwogen werden, wenn die Ahnentafel des Verfassers nicht bis ins vierte und fünfte Glied nachweisbar tadellos war. Stücke, in denen sich eine Gesinnung vermuten ließ, die das Regime als anstößig empfinden konnte, kamen ohnedies nicht in Frage. Es war nicht ganz leicht, unter solchen Umständen ein Repertoire zusammenzustellen; denn auch auf die Klassiker konnte man sich nicht verlassen. In Hamburg hatte es bei einer Aufführung des ›Don Carlos‹ demonstrativen und fast aufrührerischen Beifall gegeben, als Marquis Posa vom König Philipp die ›Gedankenfreiheit‹ forderte; in München war eine Neuinszenierung der ›Räuber‹ so lange ausverkauft gewesen, bis die Regierung sie verbot: Schillers Jugendwerk hatte als aktuell-revolutionäres Drama gewirkt und begeistert. Intendant Höfgen wagte sich also weder an den ›Carlos‹ noch an die ›Räuber‹, obwohl er selber gerne sowohl den Marquis Posa als auch den Franz Moor gespielt haben würde. Fast alle modernen Stücke, die bis zum Januar 1933 in den Spielplan einer anspruchsvollen deutschen Bühne gehört hatten – die frühen, noch kraftvollen Werke Gerhart Hauptmanns, die Dramen Wedekinds, Strindbergs, Georg Kaisers, Sternheims –, wurden wegen zersetzend kulturbolschewistischen Geistes scharf und mit Empörung abgelehnt: Intendant Höfgen konnte sich nicht erlauben, eines von ihnen zur Aufführung vorzuschlagen. Die jüngeren Dramatiker von Talent waren beinah ausnahmslos emigriert oder lebten in Deutschland nicht anders denn in der Verbannung. Was sollte Intendant Höfgen spielen lassen in seinen schönen Theatern? Die nationalsozialistischen Dichter – forsche Knaben in schwarzen oder braunen Uniformen – schrieben Dinge, von denen jeder, der etwas vom Theater verstand, sich mit Grausen abwandte. Intendant Höfgen erteilte Aufträge an jene von den militanten Buben, denen er am ehesten einen Funken von Begabung zutraute: an fünf von ihnen ließ er ein paar tausend Mark auszahlen, ehe sie noch mit der Arbeit begonnen hatten, damit er nur endlich ein Stück bekäme. Die Resultate aber fielen jämmerlich aus. Was abgeliefert wurde, waren patriotische Tragödien, die das Machwerk hysterischer
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