Mephisto
das ihm immer noch wie eine Bürste vom Schädel stand, genoß eine besondere und bevorzugte Stellung in Hendrik-Hall. Ihn bewahrte der Schloßherr wie ein drolliges kleines Andenken an vergangene Zeiten. Der kleine Böck war im Grunde eigens dafür engagiert, um sich beständig über die wundersame Verwandlung seines Meisters zu erstaunen und entzücken. Das tat er denn auch und sagte täglich mindestens einmal: »Nein, wie schön und reich wir geworden sind! Es ist doch nicht zu schildern! Wenn ich daran denke, daß wir uns einmal sieben Mark fünfzig haben pumpen müssen, um abendessen zu können!« Der kleine Böck kicherte ehrfurchtsvoll und gerührt bei der Erinnerung. – »Ein braves Tier«, sagte Höfgen von ihm. »Er ist mir auch in schlechten Zeiten treu gewesen.« – Die betonte Freundlichkeit, mit der er vom kleinen Böck sprach, schien einen geheimen Trotz zu enthalten. Wem galt er, gegen wen richtete er sich? War es nicht Barbara gewesen, die ihm seinen Böck, den ergebenen Knecht, nicht hatte gönnen wollen? In der Hamburger Wohnung war nur ein Fräulein geduldet worden, das ihren zehnjährigen Dienst auf dem Gute der Generalin hinter sich hatte – damit sich nur ja nichts änderte im Leben der gnädigen Frau, der Geheimratstochter. Hendrik, in all seinem Glanz, konnte die kleinsten Niederlagen der Vergangenheit nie vergessen.
»Jetzt bin ich Herr im Hause!« sagte er.
Jetzt war er Herr im Hause, über dessen Schwelle beinah nur noch Menschen kamen, die mit Bewunderung und Ehrfurcht auf ihn blickten. Die Familie, die er an seines Daseins festlicher Schönheit teilhaben ließ, bekam auch seine Launen zu spüren. Hendrik veranstaltete zuweilen gemütliche Abende am Kaminfeuer oder reizende Sonntagvormittage im Garten. Häufiger aber geschah es, daß er sein fahles, beleidigtes Gouvernantengesicht zeigte, sich in seine Gemächer verschloß und vorwurfsvoll behauptete, er leide an schwerer Migräne – ›weil ich so sehr viel arbeiten muß, um für euch das Geld herbeizuschaffen, ihr Nichtstuer‹: dies sagte er nicht, deutete es jedoch drastisch an durch leidendes und gereiztes Wesen. »Kümmert euch nicht um mich!« riet er den Seinen, und nahm es dann nachhaltig übel, wenn man wirklich ein paar Stunden lang nicht nach ihm sah.
Am besten verstand es seine Mutter Bella, mit ihm auszukommen. Sie behandelte ihren ›großen Jungen‹ sehr sanft, aber nicht ohne zärtliche Bestimmtheit. Ihr gegenüber wagte er es selten, sich gar zuviel herauszunehmen. Übrigens hing er wirklich an ihr und war auch stolz auf seine distinguierte Mama. Sie hatte sich sehr zu ihrem Vorteil verändert und zeigte sich ihrer neuen, anspruchsvollen Situation durchaus gewachsen. Den großen Haushalt ihres berühmten Sohnes verstand sie mit würdevollem Takt und erfahrener Umsicht zu führen. Hätte der eleganten Matrone noch irgend jemand ansehen können, daß sie der Gegenstand übler Klatschereien gewesen war, als sie aus wohltätigen Gründen im Sektzelt ihres Amtes gewaltet hatte? Das lag weit zurück, niemand wußte mehr von den dummen alten Geschichten. Aus Frau Bella war eine dezent zurückhaltende, aber doch nicht zu übersehende Figur der Berliner Gesellschaft geworden. Sie war dem Herrn Ministerpräsidenten vorgestellt und verkehrte in den wichtigsten Häusern. Unter der adretten grauen Dauerwellen-Frisur hatte ihr intelligentes, fröhliches Gesicht, dem das Antlitz ihres berühmten Sohnes so sehr glich, immer noch frische Farben. Frau Bella kleidete sich einfach, aber mit Sorgfalt. Sie bevorzugte dunkelgraue Seide im Winter, perlgraue während der warmen Zeit. Perlgrau war das Kostüm gewesen, das Frau Bella vor Jahren an der schönen Großmutter ihrer Schwiegertochter bewundert hatte. Mutter Höfgen bedauerte es von Herzen, daß die Generalin nicht in der Grunewald-Villa verkehrte. »Ich würde die alte Dame gerne bei uns empfangen«, äußerte sie, »obwohl sie ja etwas jüdisches Blut haben soll. Darüber könnten wir uns hinwegsetzen – findest du nicht auch, Hendrik? Aber sie hat es noch nicht einmal der Mühe wert gefunden, Karten bei uns abzugeben. Sind wir ihr etwa immer noch nicht fein genug? – Viel Geld scheint sie doch auch nicht mehr zu haben«, schloß Frau Bella und schüttelte, halb mitleidig, halb pikiert, den Kopf. »Sie sollte froh sein, wenn eine anständige Familie sich noch ihrer annehmen will.« –
Leider war mit Vater Köbes nicht derselbe Staat wie mit Frau Bella zu machen. Er hatte
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