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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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Gymnasiasten zu sein schienen. »Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, in diesem Deutschland auch nur halbwegs vernünftiges Theater zu machen«, äußerte Hendrik im Kreise der Intimen, und stützte sein fahles, überanstrengtes, ein wenig angewidertes Gesicht in die Hände.
    Die Situation war sehr schwierig, aber Intendant Höfgen war sehr geschickt. Da es keine modernen Lustspiele gab, entdeckte er alte Possen und hatte starke Erfolge mit ihnen; monatelang machte er volle Häuser mit einer verstaubten französischen Komödie, über die unsere Großväter sich amüsiert hatten. Er selber spielte die Hauptrolle, zeigte sich dem Publikum in einem wunderbar bestickten Rokokokostüm, sein köstlich geschminktes Gesicht wirkte mit einem schwarzen Schönheitspflästerchen am Kinn derartig pikant, daß alle Weiber im Parkett vor Wonne kicherten, als hätte man sie gekitzelt, seine Gebärden hatten eine Beschwingtheit, seine Konversation eine Verve, die den wacker fabrizierten Großvater-Scherz wirken ließen wie den glanzvollsten modernen Reißer. – Da Schiller, mit seiner ewigen Beschwörung der Freiheit, anrüchig war, bevorzugte der Intendant Shakespeare, den die maßgebende Presse als den großen Germanen, als das völkische Genie par excellence proklamiert hatte. – Lotte Lindenthal, Favoritin eines Halbgottes und repräsentative Menschendarstellerin des neuen Deutschland, konnte es wagen, als Minna von Barnhelm aufzutreten – also in einer Komödie, deren Verfasser für seine Judenfreundlichkeit ebenso unliebsam bekannt war wie für seine gänzlich unzeitgemäße Liebe zur Vernunft. Weil die Lindenthal mit dem Fliegergeneral buhlte, verzieh man Gotthold Ephraim Lessing seinen ›Nathan der Weise‹. Auch die ›Minna von Barnhelm‹ machte gute Kasse. Die Einnahmen der Staatlichen Bühnen, die unter der Direktion des Dichters Cäsar von Muck so miserabel gewesen waren, verbesserten sich zusehends, dank der Gewandtheit des neuen Intendanten.
    Cäsar von Muck, der im besonderen Auftrag des Führers eine Vortrags- und Propaganda-Tournee durch Europa unternahm, hätte Anlaß gehabt, sich über die Triumphe seines Nachfolgers zu ärgern. Er ärgerte sich in der Tat, zeigte es aber nicht, sondern schrieb Ansichtskarten an seinen ›Freund Hendrik‹ aus Palermo oder aus Kopenhagen. Auf ihnen ward er nicht müde zu betonen, wie schön und herrlich es sei, so in Freiheit durch die Lande zu streifen. ›Wir Dichter sind doch alle Vagabunden‹, schrieb er aus dem Grand Hotel in Stockholm. Er hatte reichlich Devisen mitbekommen. In seinen teils lyrisch, teils militant gestimmten Feuilletons, die alle Zeitungen in großer Aufmachung publizieren mußten, war viel von Luxusrestaurants, reservierten Theaterlogen und Empfängen auf Botschaften die Rede. Der Schöpfer der ›Tannenberg‹-Tragödie entdeckte seine Neigung für die große Welt. Anderseits faßte er seine Lustpartie als erhabene sittliche Sendung auf. Der mondän-poetische Agent der deutschen Diktatur im Ausland liebte es, seine suspekte Tätigkeit als ›Seelsorgerberuf‹ zu bezeichnen und zu betonen, daß er nicht mit Bestechungsgeldern für das Dritte Reich werben wolle, wie etwa sein Chef – der Hinkende – dies tat; vielmehr mit kleinen zarten Liebesliedern. Überall hatte er Abenteuer, die so reizend wie bedeutsam waren. In Oslo zum Beispiel erreichte ihn ein Anruf aus der nördlichsten Telephonzelle Europas. Eine besorgte Stimme fragte ihn aus der Polargegend: ›Wie ist es in Deutschland?‹ Da versuchte der seelsorgerische Globetrotter mit aller Andacht ein paar Sätze zu formen, die wie eine Hand voll Märzenbecher, Schneeglöckchen und erste Veilchen in der Dunkelheit drüben erblühen sollen. – Überall war es nett, nur in Paris fühlte der Sänger der Schlacht von den Masurischen Sümpfen sich unbehaglich. Denn dort irritierte ihn ein militaristisch-kriegerischer Geist, der ihm fremd war und den er nicht mochte. ›Paris ist gefährlich‹, berichtete der Dichter nach Hause, und er dachte mit ernster Rührung an den feierlichen Frieden, der in Potsdam herrscht. – Nur ganz nebenbei, zwischen all den starken Erlebnissen, die seine Reise für ihn mit sich brachte, intrigierte Herr von Muck, brieflich und telephonisch, ein wenig gegen seinen Freund Hendrik Höfgen. Der deutsche Dichter hatte in Paris, durch irgendwelche Spione – Agenten der Geheimen Staatspolizei oder Mitglieder der Deutschen Botschaft – herausbekommen, daß es dort eine

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