Mephisto
Rockaufschlag versteckt trage und daß seine Privatwohnung voll sei von den Bildern des nationalsozialistischen ›Führers‹, die er in der Portiersloge denn doch nicht aufzuhängen wagte. Herr Knurr hatte heftige Diskussionen und Streitigkeiten mit den kommunistischen Bühnenarbeitern, die ihrerseits nicht im ›H. K.‹ verkehrten, sondern ihren eigenen Stammtisch in einer Kneipe gegenüber hatten – wo sie zuweilen von Ulrichs besucht wurden. Höfgen wagte sich beinah nie an den Stammtisch der Arbeiter; er fürchtete, die Männer würden über sein Monokel lachen. Anderseits pflegte er zu klagen, das ›H. K.‹ sei ihm durch die Anwesenheit des nationalistischen Herrn Knurr ganz verleidet. »Dieser verfluchte Kleinbürger«, sagte Höfgen von ihm, »der auf seinen Führer und Erlöser wartet, wie die Jungfer auf den Kerl, der sie schwängern soll! Mir wird immer heiß und kalt, wenn ich an der Portiersloge vorbeigehen muß und an das Hakenkreuz unter seinem Rockaufschlag denke …«
»Natürlich hat er eine ekelhafte Kindheit gehabt«, sagte Otto Ulrichs, der noch bei Hans Miklas war. »Er hat mir einmal davon erzählt. Aufgewachsen ist er in irgend so einem finsteren niederbayrischen Nest. Der Vater ist im Weltkrieg gefallen, die Mutter scheint eine aufgeregte, unvernünftige Person zu sein; machte den verrücktesten Krach, als der Junge zum Theater gehen wollte – man kann sich das ja alles vorstellen. Er ist ehrgeizig, fleißig, auch begabt; er hat enorm viel gelernt, mehr als die meisten von uns. Ursprünglich wollte er Musiker werden, er hat den Kontrapunkt gelernt und er kann Klavier spielen, und er kann Akrobatik und Steptanzen und Ziehharmonika und überhaupt alles. Er arbeitet den ganzen Tag, dabei ist er wahrscheinlich krank, sein Husten klingt scheußlich. Natürlich findet er, daß er zurückgesetzt wird und nicht genügend Erfolg hat, und schlechte Rollen. Er glaubt, wir sind verschworen gegen ihn, von wegen seiner sogenannten politischen Gesinnung.«
Ulrichs schaute noch immer, aufmerksam und ernst, zum jungen Miklas hinüber.
»95 Mark Monatsgehalt«, sagte er plötzlich und blickte drohend auf Direktor Schmitz, der sofort unruhig auf seinem Stuhl zu rücken begann – »es ist schwer, dabei ein anständiger Mensch zu bleiben.« Nun schaute auch die Herzfeld aufmerksam zu Miklas hinüber.
Zum Garderobier Böck, zur Souffleuse Efeu und Herrn Knurr pflegte Hans Miklas sich stets dann zu setzen, wenn er sich recht niederträchtig benachteiligt fand von der Direktion des Künstlertheaters, die er vor seinen politischen Freunden als ›verjudet‹ und ›marxistisch‹ bezeichnete. Vor allem haßte er Höfgen, diesen ›ekelhaften Salonkommunisten‹. Höfgen war, wenn man Miklas glauben durfte, eifersüchtig und eitel; Höfgen war größenwahnsinnig und wollte alles spielen, besonders aber spielte er ihm, Miklas, die Rollen weg. »Es ist eine Gemeinheit, daß er mir den Moritz Stiefel nicht gelassen hat«, äußerte der Verbitterte. »Wenn er ›Frühlings-Erwachen‹ schon selber inszeniert, warum muß er auch noch die beste Rolle haben? Und für unsereinen bleibt gar nichts. Eine Gemeinheit ist das! Überhaupt ist er viel zu dick und alt für den Moritz. Lächerlich wird er aussehen in den kurzen Hosen.« Miklas schaute zornig auf seine eigenen Beine, die mager und sehnig waren.
Garderobier Böck, ein dummer Bursche mit wäßrigen Augen und sehr blonden, sehr harten Haaren, die er kurz geschoren wie eine Bürste trug, kicherte über seinem Bierglas: niemand wußte, ob über Hendrik Höfgen, der als Gymnasiast komisch aussehen würde, oder über den machtlosen Zorn des jungen Hans Miklas. Die Souffleuse Efeu hingegen zeigte Entrüstung; sie bestätigte Miklas, daß es eine Gemeinheit sei. Das mütterliche Interesse, das die dicke alte Person an dem jungen Menschen nahm, brachte für diesen praktische Vorteile mit sich. Übrigens sympathisierte sie auch politisch mit ihm. Sie stopfte ihm seine Socken, lud ihn zum Abendessen ein; schenkte ihm Wurst, Schinken und Eingemachtes. »Damit du dicker wirst, Junge«, sagte sie und schaute ihn zärtlich an. Dabei gefiel ihr gerade die Magerkeit seines trainierten, nicht sehr großen, elastischen, schmalen Körpers. Wenn sein dichtes, dunkelblondes Haar am Hinterkopf gar zu widerspenstig in die Höhe stand, sagte die Efeu: »Du siehst aus wie ein Gassenjunge!« und holte einen Kamm aus dem Beutel.
Wie ein Gassenjunge sah Hans Miklas wirklich aus,
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