Mephisto
freilich wie einer, dem es nicht besonders gut geht und der seine Angegriffenheit trotzig bezwingt. Sein Leben war anstrengend; er trainierte den ganzen Tag, mutete seinem schmalen Körper vieles zu, wahrscheinlich kamen daher seine Reizbarkeit und der finster abweisende Ausdruck seines jungen Gesichtes. Dieses Gesicht hatte üble Farben; unter den starken Backenknochen gab es schwarze Löcher, so eingefallen waren die Wangen. Um die hellen Augen waren die Ränder auch beinah schwarz. Hingegen war die reine, kindliche Stirne wie beschienen von einer bleichen und empfindlichen Helligkeit; auch der Mund leuchtete, aber auf ungesunde Art, viel zu rot: in den abweisend vorgeschobenen Lippen schien sich alles Blut zu sammeln, von dem das Gesicht sonst leer war. Unter den starken und verführerischen Lippen, von denen die Souffleuse Efeu oft den Blick nicht lassen konnte, enttäuschte das zu kurze, schwächlich abfallende Kinn.
»Heute früh, auf der Probe, hast du wieder ganz zum Fürchten ausgesehen«, sprach die Efeu besorgt. »So tiefe, schwarze Löcher in den Backen! Und das Husten! Dumpf hat es geklungen – zum Erbarmen!«
Miklas konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn bemitleidete; nur die Gaben, in die solches Mitleid sich umsetzte, nahm er gerne, wenngleich wortkarg entgegen. Das klagende Gerede der Efeu überhörte er einfach. Hingegen wollte er von Böck wissen: »Stimmt es, daß der Höfgen sich heute den ganzen Abend in seiner Garderobe hinter dem Paravent versteckt hat?«
Böck konnte es nicht in Abrede stellen. Miklas fand Höfgens Betragen derartig albern, daß es ihn geradezu in Heiterkeit versetzte. »Ich sage doch, ein kompletter Narr!« Dabei lachte er triumphierend. »Und das alles wegen einer Jüdin, der der Kopf bis dahin zwischen den Schultern steckt!« Er machte sich bucklig, um anzudeuten, wie die Martin aussehe; die Efeu amüsierte sich herzlich. »Und so etwas will ein Star sein!« Mit seinem höhnischen Ausruf konnte er ebenso wohl die Martin meinen wie Höfgen. Beide gehörten, nach seinem Urteil, in dieselbe bevorzugte, undeutsche, tief verwerfliche Clique. »Die Martin!« redete er weiter, das böse, leidende, reizvolle junge Gesicht in die mageren, nicht ganz sauberen Hände gestützt. »Sie soll ja auch immer diese salonkommunistischen Phrasen dreschen, mit ihren tausend Mark jeden Abend. Eine Bande ist das! Aber es wird aufgeräumt werden mit denen – der Höfgen wird auch noch dran glauben müssen!«
So gefährliche Dinge pflegte er sonst in der Kantine nicht auszusprechen, besonders nicht, wenn Kroge in der Nähe war. Heute aber ließ er sich gehen – freilich nicht bis zu dem Grade, daß er gar zu laut gesprochen hätte. Es blieb bei einem heftigen Flüstern. Die Efeu und Herr Knurr nickten ihm anerkennend zu, während Böck wäßrig schaute. »Der Tag wird kommen«, sagte Miklas noch, leise, aber sehr leidenschaftlich, und seine hellen Augen hatten einen fiebrigen Glanz zwischen ihren schwärzlichen Rändern. Dann mußte er furchtbar husten; Frau Efeu klopfte ihm Rücken und Schultern. »Es klingt wieder scheußlich dumpf«, sagte sie angstvoll. »Als ob es von ganz tief aus der Brust käme.«
Das enge Lokal war voll Rauch. »Die Luft ist ja dick zum Schneiden«, klagte die Motz. »Das hält doch der stärkste Mann nicht aus. Und meine Stimme! Kinder, morgen könnt ihr mich wieder beim Halsarzt sitzen sehen.« Niemand hatte Lust, sie sitzen zu sehen. Rahel Mohrenwitz machte sogar ironisch: »Huch, unsere Koloratursängerin!« – wofür sie einen fürchterlichen Blick von der Motz bekam, die sowieso etwas gegen Rahel hatte: Petersen wußte warum. Erst gestern wieder hatte man ihn in der Garderobe des dämonischen Mädchens gefunden, und die Motz hatte weinen müssen. Heute aber schien sie entschlossen, sich keinesfalls die Stimmung verderben zu lassen von einer dummen Gans, die sich vielleicht auf ihr Monokel und ihre lächerliche Frisur noch was einbildete. Vielmehr faltete sie die Hände vor dem Bauch und markierte gemütliche Stimmung. »Aber nett ist es hier«, sagte sie herzlich. »Was, Vater Hansemann?« Sie blinzelte dem Wirt zu, dem sie noch 27 Mark schuldete und der deshalb nicht zurückblinzelte. Gleich danach entsetzte sie sich, weil Petersen sich ein Beefsteak servieren ließ, noch dazu mit Spiegelei. »Als ob ein Paar Würstchen nicht genügt hätten!« Ihr standen Tränen des Zorns in den Augen. Zwischen Motz und Petersen gab es viel Streit und Hader, weil der
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