Mephisto
sich Neid in das Entzücken, mit dem Höfgen an die schöne Kindheit Barbaras dachte. Hatte diese sorgenlose Jugend nicht beides gekannt: die vollkommene Kultur und die fast vollkommene Freiheit? Der Alltag in der väterlichen Villa; die festliche Erholung – die, in ihrer regelmäßigen Wiederkehr, auch schon beinahe Alltag war – auf der Besitzung dieser fürstlichen alten Dame: konnte Hendrik eine Bitterkeit unterdrücken, wenn er solche Kindheit mit der eigenen verglich?
Denn in Köln, bei Vater Köbes – der jetzt mit gebrochenem Bein darniederlag –, hatte es keinen Park gegeben, keinen Raum mit Teppichen, Bibliothek und Gemälden; vielmehr muffige Stuben, in denen Bella und Josy munteres Treiben entfalteten, wenn sich Gäste einfanden, jedoch mißgelaunt und schlampig wurden, wenn die Familie unter sich blieb. Vater Köbes hatte immer Schulden und klagte über die Gemeinheit der Welt, wenn die Gläubiger ihn drängten. Noch peinlicher als seine schlechte Laune war die ›Gemütlichkeit‹, zu der er sich bisweilen, an hohen Feiertagen oder auch ohne besonderen Anlaß, plötzlich entschloß. Dann wurde ein ›Böwlchen‹ gebraut, und Papa Köbes forderte die Seinen auf, einen Kanon mit ihm zu singen. Der junge Hendrik aber weigerte sich; er saß fahl und verbissen in einer Ecke. Sein einziger Gedanke war immer gewesen: Ich muß hinauskommen aus diesem Milieu. Ich muß dies alles weit weit hinter mir lassen …
Barbara hat es leicht gehabt, dachte er nun, während er mit der Generalin Konversation machte. Alle Wege waren ihr geebnet; sie ist ein typisches Geschöpf der arrivierten Großbourgeoisie. Über die Härte des Lebens, die ich schon kenne, wird sie sich wundern müssen. Was ich erreichen werde und schon erreicht habe, das verdanke ich alles nur meiner Kraft. – Nicht ohne Pikiertheit sagte er zu seiner jungen Frau, die ihn an den Tisch geführt hatte, auf dem die Glückwunschtelegramme und Geschenke lagen: »Die Depeschen sind natürlich alle für dich. Mir telegraphiert niemand.« Barbara lachte – recht spöttisch und selbstgefällig, wie ihm schien –: »Im Gegenteil, Hendrik. Mehrere Leute haben nur an dich adressiert – zum Beispiel Marder.« – Aus dem hohen Stoß von Briefen, Karten und Depeschen suchte sie die Papiere hervor, die für Hendrik bestimmt waren. Außer Theophil Marder, dessen Hochzeitsbotschaft in vieldeutig korrekten, wahrscheinlich höhnisch gemeinten Wendungen abgefaßt war, hatten ihm noch die kleine Angelika Siebert, die Direktoren Schmitz und Kroge, Hedda von Herzfeld und – worüber er sich entsetzte – Juliette gratuliert. Woher waren ihr diese Adresse, dieses Datum bekannt? Hendrik, der bleich geworden war, zerknüllte den Papierstreifen. Um abzulenken, bewunderte er auf eine ironisch übertriebene Art die Geschenke, welche Barbara bekommen hatte: das Porzellan und das Silber, das Kristall, die Bücher und die Schmucksachen; die vielen nützlichen und feinen, von Freunden und Verwandten mit liebevoller Sorgfalt ausgewählten Gegenstände. »Was sollen wir nun anfangen mit all dem köstlichen Zeug?« fragte Barbara, und schaute ratlos auf den großen Segen. Hendrik dachte daran, daß die eleganten Geräte sich sehr hübsch in seinem Hamburger Zimmer ausnehmen würden; sprach es aber nicht aus, sondern lachte und zuckte verächtlich die Achseln.
Der junge Mann trat hinzu, über dessen Anwesenheit Hendrik etwas beunruhigt war und der »Sebastian« angeredet wurde. Er unterhielt sich mit Barbara in einem geschwinden, an schwer verständlichen, privaten Anspielungen reichen Jargon, dem Hendrik nur mit Mühe folgen konnte. Höfgen stellte bei sich fest, daß dieser Mensch, den Barbara ihren besten Jugendfreund nannte und von dem sie behauptete, er schriebe schöne Verse und gescheite Aufsätze, ihm ausgesprochen unsympathisch war. Er ist hochmütig und unausstehlich! dachte Hendrik, der sich in Sebastians Nähe besonders unsicher fühlte, obwohl dieser liebenswürdig zu ihm war. Aber gerade diese unverbindliche und ein wenig spöttische Liebenswürdigkeit wirkte verletzend. – Sebastian hatte reiches, aschblondes Haar, das ihm in einer dicken Strähne in die Stirne fiel, und ein fein gezeichnetes, etwas müdes Gesicht mit einer langen, stark vorspringenden Nase und verschleiert blickenden, grauen Augen. Wahrscheinlich ist auch sein Vater ein Professor oder etwas Ähnliches, beschloß Hendrik erbittert. So ein verwöhnter, geistreicher Bube ist genau der Umgang, von
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