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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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sie das Schauspiel auf dem Standesamt versäumt habe. »Nun, und wie sehen Sie denn aus, mein neuester Enkelsohn?« sagte die aufgeräumte Großmama und fixierte Hendrik ausführlich durch die Lorgnette, die ihr an einer langen, mit bläulichen Juwelen verzierten Silberkette auf der Brust hing. Hendrik wurde rot und wußte nicht, wohin er schauen sollte. Die Musterung dauerte lange; übrigens schien sie nicht unvorteilhaft für ihn auszufallen. Als die Generalin die Lorgnette endlich sinken ließ, hatte sie ein Lachen, welches silbrig perlte.
    »Gar nicht übel!« stellte sie fest, wobei sie beide Arme in die Hüften stemmte. Sie nickte ihm munter zu. In ihrem weiß gepuderten Gesicht führten die schönen, dunkelklaren und beweglichen Augen eine noch eindringlichere, klügere und stärkere Sprache als der Mund, wenn er die große Stimme hören ließ.
    Einer derartig wunderbaren alten Dame war Hendrik seiner Lebtag noch nicht begegnet. Die Generalin imponierte ihm ungeheuer. Sie hatte das Aussehen eines Aristokraten des XVIII. Jahrhunderts: ihr hochmütiges, kluges, lustiges und strenges Gesicht war gerahmt von einer grauen Frisur, die über den Ohren zu steifen Röllchen gewickelte Locken zeigte. Im Nacken vermutete man einen Zopf: man war erstaunt und ein wenig enttäuscht, daß er fehlte. In ihrem perlengrauen Sommerkostüm, das am Hals und an den Manschetten mit Spitzenrüschen garniert war, hatte die Generalswitwe eine militärisch gerade Haltung. Das breite Halsband, das gleich oberhalb der Spitzenrüsche begann und dicht unterhalb des Kinns endigte – eine schöne antike Arbeit aus mattem Silber und blauen Steinen, die zu den Juwelen an der klappernden Lorgnettenkette paßten –, wirkte an ihr wie ein hoher, steifer, bunt bestickter Uniformkragen.
    In jeder Gesellschaft, die sie betrat, regierte die Generalin – sie war es nichts anders gewohnt. Gegen Ende des XIX. Jahrhunderts hatte sie als eine der schönsten Frauen der deutschen Gesellschaft gegolten und noch in den beiden ersten Jahrzehnten des XX. war sie gefeiert worden. Alle großen Maler der Epoche hatten sie porträtiert. In ihrem Salon hatten sich die Prinzen und Generale mit den Dichtern, Komponisten und Malern getroffen. Viele Jahre lang hatte man in München und in Berlin von der Klugheit und Originalität der Generalin beinah ebensoviel gesprochen wie von ihrer Schönheit. Da ihr Gatte – er war seit einigen Jahren tot – die Sympathie der allerhöchsten Stellen genossen hatte und übrigens reich gewesen war, verzieh man ihr Ansichten, Gesinnungen und Manieren, die man bei jeder anderen exzentrisch bis zur Anstößigkeit gefunden haben würde. Selbst dem Kaiser war ihre Schönheit aufgefallen; deshalb durfte sie, schon im Jahre 1900, für das Frauenstimmrecht plädieren. Sie konnte den ›Zarathustra‹ auswendig und rezitierte zuweilen aus ihm, zur peinlichen Verwunderung ihrer aristokratischen Gäste, die dies für etwas Sozialistisches hielten. Sie hatte Franz Liszt und Richard Wagner gekannt; sie hatte Korrespondenzen mit Henrik Ibsen und Björnstjerne Björnson geführt. Wahrscheinlich war sie gegen die Todesstrafe. Ihrer großen Haltung, in der sich eine burschikose Sorglosigkeit mit unangreifbarer Würde verband, mußte man alles nachsehen.
    Die Generalin machte auf Hendrik einen viel größeren Eindruck als der Geheimrat. Nun erst begriff er ganz, was für ein glänzendes Milieu es war, in das er eintreten durfte. Seine gute Mutter Bella hatte wohl recht gehabt – nur hätte sie nicht so taktlos darauf anspielen sollen –: angesichts solcher Verwandtschaft würden den Spießern in Köln die frechen Redensarten vergehen über die angeblich heruntergekommene Familie Höfgen. Auch Barbara stieg noch einmal in Hendriks Achtung, da er feststellte, wie vertraut der Gesprächston zwischen ihr und dieser blendenden Großmama war. Barbara hatte ihre Schulferien und außerdem beinahe jeden Sonntag auf dem Gute der Generalin verbracht – Hendrik erinnerte sich nun, es gehört zu haben. Die unvergleichliche alte Dame hatte ihrem Enkelkinde Dickens oder Tolstoi vorgelesen – es war eine Leidenschaft der Generalin, vorzulesen, und sie tat es mit schönem Ausdruck –, oder sie hatten gemeinsame Spazierritte unternommen durch ein Land, das Hendrik sich vornehm wie einen englischen Park und dabei romantisch, waldig, hügelig, von silbrigen Gewässern durchzogen, reich an Schluchten, Tälern, wundervollen Ausblicken vorstellte. Wieder mischte

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