Mephisto
Rennfahrer, er nahm Papa in seinem Wagen mit, und der Ausflug endete im Straßengraben. Der Rennfahrer ist Gott sei Dank tot, Papa hat sich nur ein Bein gebrochen, aber natürlich ist er sehr betrübt darüber, daß er heute nicht mit uns allen hier sein kann …«
Es geschah, wie Hendrik prophezeit hatte: Schwester Josy, in einem grellgelben Sommerkleid, das mit roten Blumen bestickt war, sprang leichtfüßig aus dem Zuge – während die Mama noch im Coupé mit den Handkoffern beschäftigt war –, fiel ihrem Bruder um den Hals und verlangte stürmisch von ihm, er solle ihr gratulieren; diesmal handle es sich um einen Herrn, der eine gute Stellung am Kölner Rundfunk habe. »Ich werde am Mikrophon singen dürfen!« jubelte Josy. »Er findet mich sehr begabt, im Herbst heiraten wir, bist du glücklich, Heini? – Hendrik!« verbesserte sie sich schnell und schuldbewußt. »Bist du auch so glücklich?« – Höfgen schüttelte sie ab, als wäre sie ein lästiges Hündchen, das ihn ansprang. Er eilte der Mutter zu Hilfe, die aus dem Coupéfenster nach einem Gepäckträger rief. Josy inzwischen küßte Barbara auf beide Wangen. »Fein, dich kennenzulernen«, plapperte sie. »Natürlich müssen wir uns ›du‹ sagen – ›Sie‹, das wäre doch viel zu steif unter Schwägerinnen. Ich bin so froh, daß Hendrik endlich mal heiratet, bis jetzt habe nur ich mich immerzu verlobt, Hendrik hat dir ja bestimmt erzählt, wie schief es das vorige Mal ausgegangen ist, Papas Bein steckt noch immer in Gips, aber Konstantin hat wirklich eine sehr gute Stellung am Rundfunk, wir wollen im Oktober heiraten, großartig siehst du aus, Barbara, wo ist denn dein Kleid her, sicher ein echt Pariser Modell.«
Hendrik hatte die Mutter herbeigeführt, und sein Gesicht strahlte, als sie Barbara die Hände reichte. »Mein liebes, liebes Kind«, sagte Frau Höfgen, wobei ihre Augen ein wenig feucht wurden. Hendrik lächelte, zärtlich und stolz. Er liebte seine Mutter – Barbara begriff es, und sie freute sich. Freilich, manchmal schämte er sich ihrer, sie war ihm nicht fein genug, ihre Kleinbürgerlichkeit schien ihm blamabel. Aber er liebte sie: es ließ sich erkennen an dem freudig belebten Blick und an der Art, wie er ihren Arm an den seinen preßte. Wie ähnlich sie sich sahen, Mutter und Sohn! Von Frau Bella hatte Hendrik die lange, gerade, etwas zu fleischige Nase mit den beweglichen Nüstern; den breiten, weichen und sinnlichen Mund; das starke und edle Kinn mit der markanten Kerbe in der Mitte; die weiten, grau-grünen Augen; die hochgewölbten blonden Brauen, von denen der empfindliche Zug zu den Schläfen ging. Nur zeigte diese Physiognomie bei der stattlichen und biederen Dame einen anspruchsloseren, bescheideneren Charakter als bei ihrem Sohn: es fehlten die tragischen wie die diabolischen Zeichen. Bei ihr gab es kein Schillern der Augen, und die Lippen hatten kein aasig verführerisches, auch kein rätselhaft um Mitleid werbendes Lächeln. Frau Bella war eine energische, gutmütige, famos konservierte Frau von Anfang Fünfzig, mit frischen Farben im sympathisch offenen Gesicht, freundlich gewölbtem Busen, einer blonden Dauerwellenfrisur unter einem blumengarnierten Strohhut und mit einem leichten Sattel von Sommersprossen auf der Nase. Noch hatte sie keinen Anlaß, sich ganz zu den Alten zu rechnen und auf die Freuden des Lebens völlig zu verzichten. »Man will sich doch auch mal ab und zu amüsieren«, erklärte sie resolut; dann kam sie, aus Verlegenheit, ins Schwatzen und erzählte eine umständliche Geschichte von einem Wohltätigkeitsfest, auf dem es sehr lustig zugegangen war; zum Besten der Waisenkinder hatten die Damen der Kölner Gesellschaft in Zelten Erfrischungen, Blumen und Kunstgegenstände feilgeboten, es war nur ehrenvoll gewesen, da mitzumachen, und deshalb waren Frau Höfgen keinerlei Bedenken gekommen, den Champagner-Ausschank zu übernehmen: fünf Mark hatte sie für das Glas Sekt verlangt – das war etwas viel, aber man nahm es ja zum Wohle der armen Kleinen. Nachher aber hatte es den übelsten Klatsch gegeben: gemeine Menschen brachten die Frechheit auf, zu behaupten, Frau Bella habe nicht aus humanitären Gründen Schaumwein dargeboten, vielmehr habe sie es gegen Bezahlung getan, als Angestellte der Sektfirma, und obendrein habe sie sich küssen lassen – man stelle sich doch vor: küssen lassen, und zwar auf den Busen.
Mit ehrlicher Empörung berichtete dies Mutter Höfgen – man fuhr im offenen
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