Mephisto
Jahrhunderts gewirkt, so zeigte sie jetzt, im weißen Gewand und im Schmuck ihrer köstlichen Steine, eine fast päpstliche Würde. Zu dieser Grandezza des Auftretens stand die derbe Aufgeräumtheit ihrer Sprechweise in einem großartig unbekümmerten Gegensatz. »Ich muß doch mal mit Glühwürmchen und mit meiner kleinen Barbara anstoßen!« rief sie schallend; dabei schwenkte sie das Champagnerglas.
Von der anderen Seite war Nicoletta herbeigetreten, auch sie mit dem Glas in der Hand. Sie ließ die Augen funkeln und den grellen Mund die Schlängellinie machen. »Prost!« rief die Generalin. – »Prost!« rief Nicoletta. – Hendrik stieß erst mit der königlichen Großmama an; dann mit Nicoletta – dem Mädchen, das von einem Schicksal, so wunderlich wie sein eigenes, in dieses Milieu verschlagen worden war. Hier bewegte sie sich – eine überraschende Figur –, von der neugierig-nachsichtigen Toleranz des Geheimrats, von der selbstsicheren Munterkeit der Generalin geduldet – innig gehütet von der Liebe Barbaras. In diesem Augenblick empfand Hendrik, sehr klar und stark, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit – eine brüderliche Sympathie für Nicoletta. Er begriff: Sie war seinesgleichen. Zwar war ihr Vater der Literat und Abenteurer gewesen, dessen Vitalität und zynische Intelligenz die Bohème um die Jahrhundertwende fasziniert hatten; während die kleinbürgerliche Unsolidität des Papa Köbes wohl niemanden faszinieren, sondern nur die Gläubiger verärgern konnte. Hier aber, unter den höchst Gebildeten, viel Besitzenden – die meisten Anwesenden besaßen gar nicht sehr viel, aber Hendrik hielt sie samt und sonders für schwerreich –, unter den Selbstsicheren, Ironischen und Gescheiten, in deren Kreis Barbara mit einer so aufreizenden Sicherheit sich zu bewegen wußte –: hier spielten beide die gleiche Rolle, Nicoletta und Hendrik, die zwei bunten Vögel. Sie waren beide im tiefsten dazu entschlossen, sich von dieser Gesellschaft, der sie sich nicht zugehörig fühlten, nach oben tragen zu lassen, und ihren Triumph über sie zu genießen als ihre Rache.
»Prost!« machte Hendrik. Sein Glas stieß leise klirrend an das Glas Nicolettas. Barbara, die inzwischen plaudernd und lachend um den Tisch ging, war bei ihrem Vater angekommen. Stumm legte sie ihm die Arme um den Hals und küßte ihn.
Das schöne Hotel an einem der oberbayrischen Seen hatte Nicoletta empfohlen, die das junge Paar auf seiner kleinen Hochzeitsreise begleitete. Barbara war hier sehr glücklich: sie liebte diese Landschaft, die, mit ihren hügeligen Wiesen, Wäldern und Gewässern, noch sanft, noch unpathetisch war, aber doch schon das Heroische und Kühne als ein Element und eine Möglichkeit in sich enthielt. Bei föhnigem Wetter schien das Gebirge ganz nah heranzukommen. Im Licht des Sonnenuntergangs verfärbten die zackigen Gipfel, die schneeigen Hänge sich blutig. Noch schöner aber fand Barbara ihren Anblick, wenn sie, während der Stunde vor dem Dunkelwerden, in einer erhabenen Bleichheit, in einem eisigen Frieden standen und wie geformt aus einer fremden, spröden, unendlich kostbaren, bei aller Härte sehr empfindlichen Substanz, die nicht Glas zu sein schien, nicht Metall und nicht Stein, vielmehr die seltenste und gänzlich unbekannte Materie.
Hendrik war unempfänglich für Reiz und Größe der Landschaft. Die Atmosphäre des elegant geführten Hotels beunruhigte und erregte ihn. Den Kellnern gegenüber verhielt er sich mißtrauisch und reizbar; er behauptete, daß sie ihn schlechter behandelten als die übrigen Gäste, und machte Barbara Vorwürfe, daß sie ihn jetzt schon dazu verleite, über seine Verhältnisse zu leben. Anderseits war er voll Genugtuung über das feine Milieu. »Es sind außer uns beinah nur Engländer hier!« stellte er befriedigt fest.
Trotz Hendriks Nervosität hatte man manchmal vergnügte Stunden. Vormittags lagen die drei auf dem hölzernen Steg, der weit hinaus ins blaue Wasser führte und an dem mittags der kleine, weiße, mit goldenen Verzierungen drollig aufgeputzte Dampfer anlegte. Nicoletta turnte und trainierte; sie sprang übers Seil, wandelte auf den Händen, bog den Rumpf nach hinten, bis ihre Stirne den Erdboden berührte – während Barbara faul in der Sonne lag. Nachher, beim Baden, war jedoch sie es, die sich besser bewährte als die eifrige Nicoletta: Barbara konnte schneller und ausdauernder schwimmen. Hendrik seinerseits kam für die sportliche Konkurrenz nicht in
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