Mephisto
verglich den Schauspieler Höfgen – den er doch niemals auf der Szene gesehen hatte, sondern nur als Rilke-Rezitator kannte – mit einem Glühwürmchen, das sich tags aus schlauer Bescheidenheit übersehen läßt, um in der Dunkelheit erst recht verführerisch zu gaukeln. Hier ließ Nicoletta ein grelles Lachen hören, während die Generalin mit der Kette klapperte, an der ihre Lorgnette hing.
Der Geheimrat ließ zum Schluß das junge Paar hochleben. Hendrik küßte Barbaras Hand. »Wie schön du aussiehst!« sagte er, und lächelte ihr innig zu. – Barbaras Kleid war aus einer schweren, teefarbenen Seide. Nicoletta hatte es getadelt und behauptet, es sei nicht modisch, sondern ein Phantasiekostüm, dem man seine Herkunft von der Hausschneiderin ansehe. Niemand aber konnte leugnen, daß es Barbara vorzüglich stand. Über dem breiten Kragen aus alten Spitzen – er war eines der Hochzeitsgeschenke der Generalin – erhob sich in rührender Schlankheit ihr bräunlicher Hals. – Das Lächeln, mit dem sie Hendrik antwortete, war ein wenig zerstreut. Ging nicht ihr schwärzlich-blauer, sanfter, prüfender Blick vorbei an Höfgen, der ihr gegenüberstand? Wem galt dieser Blick, der bekümmert aber auch etwas spöttisch schien? Hendrik, plötzlich irritiert, wandte sich um. Er sah Sebastian, Barbaras Freund: in der schlechten Haltung, die ihm eigen war, mit hängenden Schultern und den Kopf nach vorne gestreckt, stand er nur einige Schritte entfernt von dem jungen Paar. Sein Gesicht war betrübt und zeigte einen angestrengt lauschenden Ausdruck. Auf eine merkwürdige Art, bewegte er die Finger seiner beiden Hände – so etwa, als wollte er in der Luft Klavier spielen. Was bedeutete dies? Machte er Barbara Zeichen, deren geheimen Sinn nur sie verstehen konnte? Worauf lauschte er denn, der Verhaßte? Und warum diese Traurigkeit in seinem Gesicht? Liebte er Barbara? Sicher liebte er sie. Wahrscheinlich hatte er sie heiraten wollen; vielleicht hatte es schon vor Jahren eine kindliche Verlobung gegeben zwischen ihm und ihr. Nun habe ich ihm alles verdorben! empfand Hendrik, halb triumphierend, halb entsetzt. Wie er mich verabscheut! Er schaute weg von Sebastian und auf die übrigen Gäste – die Freunde dieses berühmten Hauses. Da fand er, daß sie alle betrübte Gesichter hatten. Männer mit durchgearbeiteten, charaktervollen Mienen – Hendrik hatte ihre Namen bei der Begrüßung nicht verstanden; aber es waren wohl Professoren, Schriftsteller, große Ärzte –; ein paar junge Leute, die ihm alle mit Sebastian eine fatale Ähnlichkeit zu haben schienen; Mädchen, die in ihren Abendkleidern wie maskiert wirkten – als gingen sie sonst in grauen Flanellhosen, weißen Laboratoriumskitteln oder grünen Gärtnerschürzen –, Hendrik schien es, als mischte sich in den Blicken, die sie auf ihn richteten, Neid mit Hohn. Hatten sie denn alle Barbara geliebt? Nahm er sie ihnen allen weg? War er also der Eindringling, die verdächtige, unseriöse Figur, mit der man sich ungern und nur aus Rücksicht auf Barbaras rätselhafte – wahrscheinlich flüchtige – Laune an einen Tisch setzt? – In Wahrheit sprachen diese Menschen über hundert neutrale Dinge: über ein neues Buch, eine Theatervorstellung oder die politische Lage, die ihnen Sorgen machte. Hendrik aber meinte, sie beschäftigten sich nur mit ihm; sie sprächen, lächelten, spotteten nur über ihn.
Er hätte sich verkriechen mögen, so heftig schämte er sich plötzlich. Hatte nicht auch der Geheimrat ihn verhöhnen wollen mit seiner Rede? Innerhalb ganz weniger Sekunden hatte sich ihm alles, was heute von ihm erlebt worden war, ins Feindliche, Erniedrigende verwandelt. Das tolerante und heitere, mit Ironie vermischte Wohlwollen des Geheimrats, das ihn noch vor kurzem so stolz gemacht hatte – war es nicht im Grunde viel kränkender und herabsetzender, als irgendeine Strenge, ein deutlich an den Tag gelegter Hochmut es je hätten sein können? Jetzt erst begann Hendrik es sich klar zu machen, wieviel verletzenden Spott auch die burschikose Munterkeit der Generalin enthielt. Freilich, sie war eine imposante Persönlichkeit, grande dame großen Stils, und sie sah hinreißend aus, wie sie jetzt, aufrechten Ganges, herrschaftlich unbekümmert mit der Lorgnette klappernd, dem jungen Paar nahte: ganz in Weiß gekleidet, um den Hals die dreifach geschlungene Kette aus großen, matt schimmernden Perlen. Hatte sie am Mittag, im grauen Kostüm, wie ein Marquis des XVIII.
Weitere Kostenlose Bücher