Mephisto
dem Barbara endgültig verdorben werden könnte.
Nach der Mahlzeit saß man in der Diele zusammen; denn auf der Terrasse war es zu heiß geworden. Frau Bella hielt es für ihre Pflicht, über Literatur zu sprechen. Sie erzählte, daß sie im Zuge etwas so besonders Nettes gelesen habe, geradezu spannend sei es gewesen, von wem war es denn nur, »na, von unserem Russen, unserem größten!« rief die Arme gequält. »Wie konnte ich denn nur den Namen vergessen, wo er doch schon immer mein Lieblingsdichter war!« Nicoletta schlug vor, ob es sich nicht um Tolstoi gehandelt haben konnte. »Ganz richtig – Tolstoi!« bestätigte Frau Bella erlöst. »Ich sagte doch: unser Größter – und es war etwas ganz Neues von ihm.« Aber dann stellte sich heraus, daß es eine kleine Dostojewski-Novelle gewesen war, die Mutter Höfgen so viel Freude bereitet hatte. Hendrik war blutrot geworden. Um das Gesprächsthema zu wechseln, und um diesem arroganten Kreise zu beweisen, daß er seine Mutter in peinlichen Situationen nicht im Stiche ließ, plauderte er demonstrativ mit Frau Bella und erinnerte sie, herzlich lachend, an mancherlei Lustiges, was sich in vergangenen Jahren zugetragen hatte. Ja, das war ulkig gewesen, als sie beide – Mutter und Sohn – zur Faschingszeit den großen Budenzauber veranstalteten und Papa Köbes erschreckten! Frau Bella maskierte sich als Pascha; der kleine Hendrik – dessen Name damals Heinz gewesen war; aber dies wurde jetzt nicht erwähnt – als Bajadere. Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, Papa Köbes traute seinen Augen nicht, als er nach Hause kam. »Mama war die erste, die erkannte, daß ich zum Theater gehen mußte«, sagte Hendrik, und sah die Mutter liebevoll an. »Papa wollte lange nichts davon wissen.« – Dann erzählte er die Geschichte, wie seine schauspielerische Laufbahn begonnen hatte. Es war noch während des Krieges gewesen – 1917 –, als Hendrik, kaum achtzehn Jahre alt, auf einem Stück Zeitungspapier eine Annonce fand, aus der hervorging, daß ein Fronttheater im belgischen, besetzten Gebiet junge Schauspieler suchte. »Aber an welchem Ort ich diesem schicksalsvollen Zeitungsfetzen begegnet bin«, sagte Hendrik, »das darf ich gar nicht erzählen.« Da alle lachten, tat er, als ob er sich sehr heftig schämen müßte, und brachte nur noch zwischen den Händen, hinter denen er sein Gesicht verbarg, hervor: »Ja, ja – ich fürchte, daß sie es erraten haben …« – »Auf dem Klosett!« jubelte schamlos die Generalin, und ihr großes Gelächter sprang in kühner Koloratur vom tiefsten Baß bis hinauf zur silbrigen Höhe.
Während die allgemeine Stimmung immer fröhlicher und animierter wurde, ging Hendrik zu den Anekdoten über das Wandertheater über, wo er die Väterrollen hatte spielen müssen: nun konnte er, ungeniert und heiter, all seine altbewährten Piecen hervorholen und wieder einmal funkeln lassen; denn in diesem Kreise waren sie ja noch unbekannt. Nur Barbara hatte sie teilweise schon gehört, weshalb der Blick, mit dem sie den Erzählenden beobachtete, erstaunt und sogar ein klein wenig angewidert wurde. –
Abends kamen einige Freunde, und Hendrik durfte seinen unbezahlten Frack zeigen, der ihm wundervoll stand. Die Tafel war schön mit Blumen geschmückt; nach dem Braten klopfte der Geheimrat ans Champagnerglas und hielt eine Rede. Er begrüßte die Anwesenden, vor allem Hendriks Mutter und Schwester – wobei er Frau Bella mit scherzhafter Artigkeit, »die andere junge Frau Höfgen« nannte –, und ging dann auf das Problem der Ehe im allgemeinen, auf die Person und die künstlerischen Verdienste seines neuen Schwiegersohnes im besonderen ein. Dem Geheimrat, der seine Worte mit Sorgfalt und mit einer liebevollen Geschicklichkeit wählte, gelang es, den Schauspieler Höfgen als eine Art von Märchenprinzen zu charakterisieren, der, tagsüber unscheinbar, sich des Abends magisch zu verwandeln vermag. »Da sitzt er!« rief Bruckner und deutete mit seinem langen, schmalen Zeigefinger auf Hendrik, der sofort etwas rot wurde. »Da sitzt er, sehen Sie ihn sich nur an! Er scheint ein schlanker junger Mann zu sein – gewiß, sehr stattlich in seinem gut geschnittenen Frack, aber doch relativ unauffällig. Unauffällig nämlich, wenn ich ihn mit der bunten, zauberhaften Figur vergleiche, die abends, im Rampenlicht, auf der Bühne aus ihm wird. Da beginnt er zu strahlen, da wird er unwiderstehlich!« Und der von seinem Thema hingerissene Gelehrte
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