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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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Sie es – kann man nie wissen –, sind ja 'ne dolle Type!« –
    Während des ganzen Nachmittags beklagte er den totalen Mangel an Disziplin, der die Epoche so traurig charakterisiere. Dabei ward er nicht müde, auf höchst intensive Art die gleichen Feststellungen und Ausrufe unzählige Male zu wiederholen. Immer wieder versicherte er: »Nirgends Persönlichkeiten! Es gibt nur mich! Mit welcher Sorgfalt ich auch Umschau halte – immer wieder finde ich nur mich!« – Hastig verglich er sich mit einigen großen Männern der Vergangenheit, und zwar sowohl mit Hölderlin als auch mit Alexander dem Großen; lobte dann gereizt die ›gute alte Zeit‹, in der er selber jung gewesen, und kam in diesem Zusammenhang auch auf den Geheimrat Bruckner zu sprechen. »Ist ja kolossal langweilig, der alte Herr«, redete Theophil. »Aber doch noch solide, gute alte Schule – kein Scharlatan. Ohne Frage relativ achtenswerter Geselle. Was nachkommt, ist übler. Heutige Zeit bringt nur noch Kretins oder Kriminelle hervor.« – Dann führte er die drei jungen Leute – Nicoletta, Barbara und Hendrik – vor seine Bibliothek, die mehrere tausend Bände zählte, und forderte sie auf, sie sollten »zunächst mal was lernen«. – »Wißt ja alle nichts!« brüllte er sie überraschend an. »Allgemeine Unbildung und Verblödung schreien ja zum Himmel! Total verlotterte Generation. Europäische Katastrophe deshalb unvermeidlich und von höherem Gesichtspunkt aus gerechtfertigt!« Als er aber dazu übergehen wollte, Hendrik in unregelmäßigen griechischen Verben zu prüfen, fand Barbara es an der Zeit, aufzubrechen. Auf der Nachhausefahrt, im Dampfer, erklärte Nicoletta, ganz ähnlich wie Theophil Marder müsse ihr Vater, der Abenteurer, gewesen sein. »Ich besitze ja kein Bild von Papa«, sagte sie, und schaute sinnend über das Wasser, auf dem es kein Sonnenlicht mehr gab, sondern das perlmuttergrau und unbewegt im sinkenden Abend lag. »Kein Bild – nur die Opiumpfeife. Aber er muß mit Theophil viel gemeinsam gehabt haben. Ich spüre es. Daher bin ich Marder so tief verwandt.« – Nach einer kleinen Pause ließ sich Barbara hören: »Sicher war dein Vater viel viel netter als Marder. Marder ist ja überhaupt nicht nett.« Nicoletta schaute tückisch und belustigt aus den grünen Katzenaugen und kicherte leise in sich hinein. –
    Nicoletta machte nun fast jeden Tag die Dampferfahrt zum gegenüberliegenden Ufer, wo sich Marders Villa befand. Sie brach gegen Mittag auf, um meistens erst spät in der Nacht zurückzukehren. Barbara wurde immer stiller und nachdenklicher, besonders während der kurzen Stunden, da Nicoletta noch in ihrer Nähe war.
    Übrigens war Nicolettas unvernünftig-eigensinniger Flirt mit Theophil nicht der einzige Umstand, der Barbara versonnen stimmte. Wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag – und sie lag allein –, lauschte sie in ihr Inneres, um zu erfahren, ob Hendriks wunderliches und ein wenig blamables Verhalten – das man wohl auch ein Versagen nennen konnte – sie erleichterte oder enttäuschte. Ja, es erleichterte sie, und es enttäuschte sie doch auch …
    Die Zimmer Barbaras und Hendriks hatten eine Verbindungstür. Zu später Stunde pflegte Höfgen noch bei seiner Gattin einzutreten, dekorativ gehüllt in seinen schadhaft-prunkvollen Schlafrock. Den Kopf im Nacken, über dem schillernd-schielenden Blick halb die Lider gesenkt, eilte er durchs Zimmer und versicherte Barbara mit singender Stimme, wie froh und dankbar er sei, und daß sie stets das Zentrum seines Lebens bleiben werden. Er umarmte sie auch, aber nur flüchtig, und während er sie in den Armen hielt, ward er bleich. Er litt, er bebte, ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Scham und Zorn füllten ihm die Augen mit Tränen.
    Auf dieses Fiasko war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte geglaubt, Barbara zu lieben – ja, er liebte sie wirklich. Hatte ihn die Freundschaft mit Prinzessin Tebab so verdorben? – Ach, er konnte sich an Barbaras schönen Beinen keine grünen Schaftstiefel vorstellen … Die kläglichen und erfolglosen Umarmungen wurden ihm zur Qual. Er meinte, in Barbaras Augen, die doch nur eine stille, etwas verwunderte Frage enthielten, Hohn und Vorwurf zu lesen. Um über die grauenvolle Situation hinwegzukommen, schwatzte er, was ihm gerade einfiel; er wurde munter, von einem nervösen Lachen geschüttelt rannte er auf und ab.
    »Hast du auch so scheußliche kleine Erinnerungen wie ich?« fragte er Barbara, die

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