Mephisto
regungslos im Bett lag und ihn beobachtete. »Weißt du: Erinnerungen von der Art, daß einem ganz heiß und kalt wird, wenn man an sie denkt – und man muß oft an sie denken …« Er blieb, an Barbaras Bett gelehnt, stehen; mit fiebriger Hast – ein ungesund helles Rot auf den Wangen, von Lachen geschüttelt – begann er zu erzählen.
»Ich muß elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich im Knabenchor unseres Gymnasiums mitsingen durfte. Mir machte das eine ungeheure Freude, und ich bildete mir wohl auch ein, hübscher als alle anderen singen zu können. – Nun kommt die teuflische kleine Erinnerung – paß auf, sie wird gar nicht arg klingen, wenn ich sie jetzt berichte. – Unser Knabenchor sollte, anläßlich irgendeiner Hochzeit, bei der kirchlichen Feier mitwirken. Das war eine große Sache, und wir waren alle ziemlich aufgeregt. Mich aber ritt der Teufel, ich wollte mich ganz besonders hervortun. Als unser Chor mit seinem frommen Lied einsetzte, hatte ich den abscheulichen Einfall, eine Oktave höher als alle anderen zu singen. Ich tat mir so viel zu gute auf meinen Sopran, und ich dachte wohl, es würde einen reizenden Effekt machen, wenn mein schriller Ton durch das Gewölbe hallte. Ich stand ganz stolzgebläht und sang gellend – da sah mich der Musiklehrer, der den Chor dirigierte, mit einem Blick an, der eigentlich noch mehr angewidert als strafend war, und er sagte: ›Sei doch still!‹ – Verstehst du, Barbara?« rief Hendrik und legte die Hände vor sein heißes Gesicht. »Verstehst du denn, wie infernalisch das ist? So ganz trocken, ganz leise sagte er zu mir: ›Sei doch still!‹ Und ich war mir doch noch gerade vorgekommen wie ein jubilierender Erzengel …« Hendrik verstummte. Nach einer langen Pause sagte er: »Solche Erinnerungen sind wie kleine Höllen, in die wir zuweilen steigen müssen …« Mit einem mißtrauischen Gesichtsausdruck fragte er: »Du hast wohl keine Erinnerungen von dieser Art, Barbara?«
Nein, Barbara hatte solche Erinnerungen nicht. Hierüber wurde Hendrik plötzlich gereizt, beinah zornig. »Das ist es eben!« rief er gehässig, und in seinen Augen gab es ein böses Leuchten. »Das ist es eben: du hast dich in deinem Leben nie richtig schämen müssen … Mir ist das oft widerfahren, damals war es nur ein erstes Mal. Ich muß mich häufig so entsetzlich stark schämen – mich so in die Hölle hinunter schämen … Verstehst du denn, was ich meine, Barbara?«
V
DER EHEMANN
Ende August reiste das junge Ehepaar Höfgen mit Nicoletta von Niebuhr nach Hamburg. In der Villa der Frau Konsul Mönkeberg hatte Hendrik das ganze Parterre, bestehend aus drei Räumen, einer kleinen Küche und einem Badezimmer gemietet. Die Einrichtung der großen und behaglichen Stuben wurde ergänzt durch einige Neuanschaffungen, für deren ziemlich erhebliche Kosten Geheimrat Bruckner aufkommen mußte.
Nicoletta zog es vor, im Hotel zu wohnen. »Die spießbürgerliche Luft im Hause dieser Dame Mönkeberg kann ich nicht aushalten«, erklärte sie stolz und nervös. Barbara meinte versöhnlich, daß Frau Konsul doch auf ihre Art eine sehr brave und dekorative Person sei. »Jedenfalls vertrage ich mich glänzend mit ihr«, stellte sie fest. Frau Mönkeberg hatte ihr zum Einzug zwei junge Kätzchen geschenkt, eine schwarze und eine weiße, und erwies ihr überhaupt jede nur erdenkliche Artigkeit. »Ich bin froh, mein Kind, Sie in meinem Hause zu haben«, versicherte die alte Dame ihrer neuen Mieterin. »Wir gehören doch zu denselben Kreisen.« – Frau Konsul, deren Vater Universitätsprofessor gewesen war, hatte in ihrer Jugend den Dr. Bruckner als Privatdozenten in Heidelberg gekannt. Sie lud Barbara zum Tee ins obere Stockwerk ein, zeigte ihr Familienphotographien und stellte sie ihren Freundinnen vor.
Nicoletta spottete grimmig darüber, daß Barbara solche Einladungen akzeptierte. Sie ihrerseits empfing in ihrem Hotelzimmer Variétéakrobaten, Eintänzer und Kokotten – Hendrik zitterte bei dem Gedanken, in diesen originellen Kreis könnte durch einen unseligen, aber keineswegs unwahrscheinlichen Zufall Juliette, genannt ›Prinzessin Tebab‹, geraten. Mit wieviel Vergnügen würde Fräulein von Niebuhr die Schwarze Venus bei sich empfangen haben! Denn sie tat sich viel zugute auf ihren Snobismus der Exzentrizität und der Verworfenheit.
»Die Leute, die mein Vater für wert hielt, seine Freunde zu heißen, werden auch für mich nicht zu schlecht sein«, pflegte sie
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